Zur Kritik von

Abendblatt 
thestar 
 

Desh

Desh von Akram Khan by Richard Haughton



Kopfüber zwischen den Kulturen

Akram Khan schlägt mit einem riesigen Hammer auf den steinharten Erdhügel, auf dem eine kleine verdorrte Pflanze vor sich hinmickert. Er will an seine Wurzeln. In seiner sehr persönlichen Arbeit „Desh“ (übersetzt etwa: "Heimatland") will der Choreograph und Tänzer, der aus einer bengalischen Einwandererfamilie stammt und in London aufwuchs, sich mit der komplizierten Mixtur seiner Sozialisation auseinandersetzen. Erinnerungen, Erfahrungen, Erzählungen und Mythen verwebt er kunstvoll zu einem prallen Abend über seine schwierige Identitätssuche zwischen den Kulturen und zwischen Tradition und Moderne. Sein Bewegungsvokabular zeigt das in einer fließenden Verknüpfung von klassischen Kathak- und westlichen Tanz.
Die enge Beziehung zu seinem Vater prägt den Abend. Dessen Erzählungen, Forderungen und Ratschläge setzen Eckpunkte der Auseinandersetzung, an denen sich Khan reiben kann. Doch auch die folgende Generation spielt in Desh eine Rolle. In Gesprächen mit seiner kleinen Tochter stellt er sich die Frage, was er von seinen Wurzeln weitergeben möchte. Doch Khan belässt es nicht bei intellektuellen Abhandlungen. Er lässt die Zuschauer eintauchen in bildgewaltige (Bühnendesign von Tim Yip) Fantasiewelten, die ihn leibhaftig in die Naturgewalten des indischen Kontinents versetzt. In den Comic-Urwäldern, die auf die transparenten Vorhänge projiziert werden, versucht sich Khan als kleiner Mensch zurechtzufinden. Wenn Khan dann später auch noch kopfüber zwischen langen weißen Papierfahnen hängt, werden seine Schwierigkeiten einen eigenen Weg zu finden überdeutlich. Dieser Abend versetzt in einen Bilder- und Geschichtenrausch, dessen Anregungsvielfalt in seinen nur 90 Minuten fast erschlägt und dessen ganze Vielschichtigkeit und Gedankenfülle sich erst auf dem Nachhauseweg zu erschließen beginnt.
Birgit Schmalmack vom 10.2.14