Körber Junge Regie 2017, Thalia

Kleinstadtnovelle Copyright: Körber Stiftung / Krafft Angerer


Mit energiegeladener Ernsthaftigkeit

Welche Themen interessieren den jungen Regienachwuchs? Und mit welcher Haltung und welchen Mitteln nähern sie sich ihren Stoffen an? Antworten auf diese Fragen können jedes Jahr wieder auf dem Festival Körber Junge Regie gefunden werden. Dieses Jahr standen eindeutig die existenziellen Fragen und Momente des Lebens im Mittelpunkt der gezeigten Inszenierungen im Thalia in der Gaußstraße.
In dem ersten Stück "Abraum" - eine Uraufführung - haben sich fünf junge Leute in einen stillgelegten Steinbruch zurückgezogen. Der Rückweg in die Stadt scheint versperrt. Hier werden sie mit Abgründen konfrontiert, die ihnen einen Ausweg aus der eigenen Hölle zu finden unmöglich machen. Es ist eine Albtraum artige Szenerie, deren auswegloses Ende von vorneherein klar ist und die sich folgerichtig auf einer skelettierten Holzlandschaft abspielt, die jede liebliche Begehbarkeit eingebüßt hat. Sie ist so unwegsam wie das Leben. Der Text von von Wilke Weermann verwehrt sich jeder einfachen Decodierung. Die Regie von Swen Lasse Awe belässt ihn in diesem rätselhaften Zwischenraum. Mit einem grandiosen Ensemble der Otto Falckenberg Schule aus München sehen die Zuschauer ein reife Leistung.
"Woyzeck" ist ein wohl bekanntes Stück von Büchner, doch in der Lesart von Rebekka Bangerter von der Zürcher Hochschule für Künste zeigt es sich von einer neuen Seite. Sie setzt Woyzeck auf einen Müllberg der Gesellschaft, in dem er genauso gefangen ist wie die anderen Gestalten des Stückes. Sie sind zu Marionetten der Gesellschaft verkommen, die nach oben zu buckeln und nach unten zu treten gelernt haben. Woyzeck findet sich in der untersten Etage wieder und kann nur kurzfristig aussteigen, wenn er ins Publikum geht und der Liebe zu Marie Raum zu geben versucht. Doch schon verschluckt ihn der qualmende Müllberg wieder, in dem zum Schluss alle versinken. Ein spannender schlüssiger Zugriff, der aber den Nachteil hatte, das er den Figuren keine Entwicklungsmöglichkeiten bot und damit viel Spannung aus dem Stück nahm.
Das Stück "Philoktet" schildert nach Heiner Müller den verbalen Existenzkampf zwischen drei Männern: Odysseus, der Sohn des Achills und Philoktet. Wie sehr ihr Denken von der Logik des Krieges geprägt ist, zeigt die Inszenierung von Mark Reisig von der Hochschule aus Frankfurt am Main. Ein Kammerspiel dreier Männer, die um sich und ihre Bedeutung kreisen. Reisig beschränkt sich in seiner Arbeit auf die konzentrierte klare Umsetzung des wortgewaltigen Textes.
Moritz Beichl von der Theaterakademie Hamburg hat die "Kleinstadtnovelle" von Ronald Schernikau in ein spritziges Jugendstück verwandelt. Ohne aufwändiges Bühnenbild erzählt er mit seinen energiegeladenen jungen Darsteller die mitreißende Geschichte des Coming Outs eines sechszehnjährigen Gymnasiasten, die 1980 noch für einen Skandal sorgen konnte. Wenn spielerische Leichtigkeit beim Aufzeigen gesellschaftlicher Missstände eine Güte der Regie ist, dann hat diese Arbeit auf jeden Fall einen Preis verdient.
"Horses" von Tom Müller von Mozarteum Salzburg hätte ihn dagegen für Rätsel bewahrendes Gesamtkunstwerk verdient. Er hat ebenfalls aus einer Prosavorlage ein Drama geschaffen. Zwei Künstlerpersönlichkeiten im New Yorker der Siebziger stehen im Mittelpunkt: Patty Smith, die sich selbst in der Liebesbeziehung zu Robert Mapplethorpe neu erfindet. Wie zwei junge Leute, die unbedingt Künstler werden wollen, mit sich, ihrer Vision, und der Gesellschaft um ihr Überleben ringen, zeigt diese herausragende Arbeit. Tom Müller wagt sich mit seinen beiden Darsteller mitten in die Welt der großen Leidenschaften hinein. Nie ist nur Text auf der Bühne zu hören, stets sind die Figuren in Bewegung, immer auf der ruhelosen Suche nach ihrer Verwirklichung ihres Traumes.
"Nerve Collection" wagt sich dagegen in ganz ruhige Gefühlsmomente hinein. Eine Bestandaufnahme ihrer selbst wollte die Performerin Caroline Creuztberg vom Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft mit dieser Eine-Frau-Arbeit machen und sie mit dem Publikum teilen. Sie hat die Jury mit ihrem eigenwilligen Ansatz, der sich einzig dem eigenen Anspruch verpflichtet sieht, so überzeugt, dass sie den diesjährigen Preis für die beste Regieleistung gewann. Er ist mit 10 000 Euro dotiert und ermöglicht die Verwirklichung einer weiteren Inszenierung.
Körber Junge Regie 2017 hat einen Regiejahrgang gezeigt, der seine Themen mit viel Energie und Ernsthaftigkeit anging. Oft wurden Geschichten erzählt, oft wurden große Fragen gestellt, oft blieben Rätsel im Raum stehen, oft spielten die Geschichten in der Vergangenheit, die Verknüpfungen zum Heute erlaubten. Ein sehr viel versprechender Jahrgang!
Birgit Schmalmack vom 24-6-17