Glaubenskämpfer, Thalia

Lass uns über Gott reden!

Und zwar Auge in Auge, und nicht Zahn um Zahn. Wo ginge das besser als auf einer Bühne? Das Zusammentreffen von Vertretern der säkularen Gesellschaft durch vier Schauspieler auf der einen Seite und Vertretern der drei Buchreligionen auf der anderen soll viele verschiedenen Geschichten erzählen. Wie ein Buch sollen sie im Laufe des Abends aufgeschlagen werden. Der Abend von Nuran David Calis vom Schauspiel Köln heißt nicht umsonst bewusst doppeldeutig "Glaubenskämpfer". Die "schwachen" Säkularen treten "starken" Gläubigen gegenüber. Zweifel trifft auf festen Glauben. Abwägende Toleranz könnte als Schwäche angesehen werden angesichts der Unbedingtheit der Glaubensüberzeugungen.
"Unser Jude" im Expertenteam ahnt schon früh den Ärger, den diese Begegnung entfachen könnte. Wer den Glauben des anderen in Frage zu stellen wagt, stellt keine theoretische Überlegung an sondern greift den Gläubigen direkt in seinem Selbst, in seinem Innersten an. Einer der Schauspieler wechselt in seinem Nachdenken über Gott die Seiten. Als agnostischer Schüler einer Klosterschule wagte er ein Experiment: Was konnte er verlieren, wenn er einfach annehmen würde, es gebe einen Gott, den er seinen imaginären Freund nannte, und mit ihm in einen gedanklichen Dialog treten würde? Wenn Gott wirklich existierte, hätte er richtig gelegen, wenn Gott nicht existierte, hätte er nichts verloren. Über die Jahre wurden diese "Gebete" zu einem festen Bestandteil in seinem Leben.
Die Gottesfrage trieb die eingeladenen Gläubigen schon früh um. Die Nonne tritt nach langem Suchen als Jugendliche in den Orden ein und ist nun nach 42 Jahren immer noch auf der Suche. Der Jude kennt nur zwei Hauptgebote: "Liebe Gott" und "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Auch die Nonne sieht die Liebe und die Gemeinschaft als die wichtigsten Pfeiler an."
Doch dann brettert ein Video über die bühnenhohen Buchseiten. Islamisten werben für den Kampf als Gotteskrieger den Eintritt in den Dschihad gegen alle Ungläubigen. Die Muslime auf der Bühne sind entsetzt: Warum dürfen Christentum und Judentum die Friedfertigkeit und Liebesfähigkeit ihrer Religionen in den Mittelpunkt rücken und der Islam wird durch IS-Videos und einen EX-Salafisten vertreten? Warum werde der Islam in einem Atemzug mit Gewalt und Krieg und Unterdrückung genannt? Sie verlassen geschlossen die Bühne. Erst zum Ende kommen sie wieder zurück und einer von ihnen berichten, dass es vor gut 50 Jahren auch ganz anders ging. Während heute Muslime in Kellerbaracken beten müssten, räumte der Kölner Bischof 1960 zum Ramadanende ein ganzes Seitenschiff im Kölner Dom für eine angemessene Gebetszeremonie. Wo stünden wir heute im Westen, wenn diese Offenheit und Toleranz sich auch in den folgenden Jahrzehnten so gezeigt hätte?
Regisseur Nuran David Calis merkte man bei diesem Thema den Willen zur religious correctness an. Der gewollte Spagat zwischen Gläubigen und Glaubenskämpfern erwies sich als groß. Vertreter eines friedfertigen, intellektuellen Islams hätten für ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den Buchreligionen gesorgt. Stattdessen vertrat die Deutsch-Türkin, die seit ihrer Kindheit dazu gezwungen wurde ein Kopftuch zu tragen und der eine Schulbildung von ihren Eltern vorenthalten wurde, die selbstbewusste Muslima und bestätigte damit eher Vorurteile. Positive Aspekte des Islams kamen hier zu kurz. Salafisten, IS-Dschihadisten bekamen dagegen viel Raum. So standen die sympathischen Muslime der Keupstraße den wirkmächtigen Bildern als schwache Einzelwesen, die wenig Einfluss besitzen, hilflos gegenüber. Der Abend zeigte: Es schwindet nicht nur der Einfluss der säkularen Gesellschaft sondern auch der der Friedfertigkeiten der Religion, wo eine von ihnen unter einer Imageoffensive der Gewalt leidet. Doch was setzen wir dem entgegen? Ein paar schwache Proteste, ein paar Feuilleton-Analysen. Wer wird sich als stärker erweisen? Dieses Stück regt darüber zum Nachdenken an, indem es genau diese Fallen der Medienwelt auf der Bühne ausstellt.
Birgit Schmalmack vom 8.2.17

Zur Kritik von

Nachtkritik 
Kölnische Rundschau