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Atlas der Angst, Thalia

Atlas der Angst, Thalia in der Gaußstraße



Ihre Angst wird ständig aktualisiert

Die Frau hat die Versenkung der Wilhelm Gustloff am Ende der zweiten Weltkrieges überlebt. Heute ermahnt sie ihren Lebensgefährten immer wieder: "Heinz, zieh deine Mütze an, sonst bekommst du Krebs."
Woher kommt eigentlich diese Angst im Land der Skeptiker? Wieso gibt es in Deutschland besonders viele Bedenkenträger?
Ist Deutschland "ein Land im Krieg", wie es die Medien in letzter Zeit immer wieder vermelden? Doch die Bomben fallen anderswo, die Angst davor ist aber in Deutschland angekommen. Angst vor dem Monster unterm Bett, Angst vor dem Verloren Gehen, Angst vor dem Fremden, Angst vor der Veränderung, Angst vor dem Sterben, Angst vor dem Verlust, Angst vor Terroristen, Angst vor den Flüchtlingen, die die eigene Angst erst sichtbar machen. Angst vor der Angst. Angst vor dem nicht mehr Verdrängen können. Angst vor der Zeit außerhalb der Komfortzone.
Regisseur Gernot Grünewald versucht mit seiner Inszenierung nach dem Buch von Armin Smailovic und Dirk Gieselmann einen "Atlas der Angst" zu verfassen. Er ordnet die unterschiedlichen Angstzonen den Regionen in Deutschland zu. Während in Hamburg, Berlin und München die Angst vor Terroranschlägen sich ausbreitet, ist es in Ostdeutschland die Angst vor den Flüchtlingen. In den Häusern von ehemaligen Kriegsopfern bringen die neuen Entwicklungen alte real erlebte durchlittene Ängste wieder an die Oberfläche. In den Wohnungen von Kriegsflüchtlingen wächst die Angst vor der Fremdenfeindlichkeit der Deutschen, die ihnen den Hitlergruß auf der Straße zeigen und sie des Nachts überfallen oder ihre Häuser anzünden.
Angstbegleiter brauchen die Deutschen, die ihnen Händchen halten, die ihre geheimen Ängste therapieren und sie versuchen aufzuarbeiten. Die Angst vor dem Tod gehört zum Leben. Doch nicht etwa die Angst in einem Verkehrsunfall sondern bei einem Terroranschlag zu sterben beschäftigt die Deutschen. Realismus und Statistik hat bei den Ängsten keinen Platz Die Deutschen verstecken sich in ihren durchsichtigen Kästen, schotten sich ab und projizieren sich ihre eigenen Bilder ins Gedächtnis. So zeigt es Grünewald in seiner Inszenierung. Er lässt den Chor und seine drei Schauspieler (Marie Jung, Julian Greis, Dejan Bucin) die Situationen, Interviews und Recherchen aus dem Buch nachspielen. Er beherrscht die große Kunst der Montage, die gerade Gehörtes in Frage stellt, die Gewissheiten, die gerade aufgestellt wurden, kontrapunktisiert und bricht. Er stellt Banales neben Tragisches, Witziges neben Trauriges, Tiefschürfendes neben Leichtfüßiges. Er schafft es das dunkle Thema der Angst in ein immer überraschendes Kaleidoskop zu verwandeln und schickt die Zuschauer so durch ein Gefühlspanorama Deutschlands. Ein wunderbar komponierter und erhellender Abend über das derzeitige Klima in Deutschland, das Angst machen und aufrütteln kann.
Birgit Schmalmack vom 14.5.17



Djin, Lichthof

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