Durchs Raster gefallen
Ein auf zwei Spitzen gestelltes Holzrost steht auf der Bühne. Nur mühsam kann sich Eunice (Sabine Werner) auf ihm fortbewegen. Stets drohen die Lücken in ihrem System sie zu Fall zu bringen. Immer darauf bedacht ihr Geheimnis nicht zu verraten, muss sich sie sich durch den Alltag lavieren. Denn Eunice kann nicht lesen und schreiben. Dafür kann sie gut putzen und kochen. Eine Stellung als Haushälterin schien ihr nach dem Tod ihrer Eltern ideal, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Gut getroffen hat sie es. Zuerst läuft alles ganz nach Plan. Ihre Arbeitgeber, die Coverdales, sind mit ihrer Arbeit sehr zufrieden. Doch wundern sie sich über die Distanz, die Eunice zu allen im Haus aufbaut. Einzig zu einer Kioskbetreiberin (Wicki Kalaitzi) im Dorf knüpft sie freundschaftliche Beziehungen. Diese ist ebenso einsam wie sie selbst. Als Eunice droht enttarnt zu werden und ihre Würde zu verlieren, werden sie zu Verbündeten. Regisseurin Anne Schneider hat die Problematik des Analphabetismus in Deutschland in eine fesselnde Geschichte eingebettet. Der Krimi von Ruth Rendell "Urteil in Stein" bildet den Rahmen. Von Beginn an lässt der Soundtrack Düsteres ahnen. Menschen, die wenig zu verlieren haben, sind zu allem bereit. Damit spielt der spannungsgeladene Klangteppich, den die Musiker Christian Ziegler und Martin Glos über die Szenerie legt. Die Loopmaschinerie, die die beiden Schauspielerinnen, die alle Rollen übernehmen, kann aber auch heitere Töne anschlagen, wenn Eunice und ihre Freundin ihre Probleme einfach überspielen wollen. Unten ihnen agiert der Maler Nikos Kalaitzis auf offener Bühne. Seine Farbklecksbilder, die auf dem Fußboden entstehen, erzählen in scheinbar einfacher Spritz- und Wischtechnik von einer Bilderwelt, die ganz ohne Kenntnisse von Buchstaben zu verstehen ist. Regisseurin Anne Schneider ist ein beeindruckender Abend gelungen, der für die Gefühlswelt einer Analphabetin zu sensibilisieren versteht. Ein nicht nur thematisch, sondern auch inszenatorisch höchst spannender Abend.
Birgit Schmalmack vom 8.3.16
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