Der Stoff, aus dem die Träume sind


Es ist eine Bühne aus scheinbar lose aufeinander gelegten Brettern in einem weiten O, die sich auf der Charlottenburger Halbinsel inmitten der Spree auftut. Wie hingeworfen durch einen Sturm, den ein Schiff zerborsten hat, liegen die dicken Bohlen scheinbar willkürlich verstreut auf dem gepflasterten Boden. Doch was hier wie zufällig hingestreut erscheint, bietet den Spielplatz für eine Openair Bühne, die ihres gleich sucht. Sie wird zum perfekten Bühnenbild für "Der Sturm" von Shakespeare. Das Globe Berlin Team machte aus der Not eine Tugend. Auch in der zweiten Prolog-Saison müssen sie weiter improvisieren. Charlottenburg-Wilmersdorf und der Senat haben zwar der Umwidmung des Geländes schon zugestimmt, aber auch das Abgeordnetenhaus muss erst grünes Licht geben, bevor der Intendant Christian Leonard den Bauantrag stellen kann.
So nutzen sie das Bau-Material für zukünftige feste Spielstätte des Globe Berlin inzwischen kurzerhand für eine Open-O-Bühne, in der am 23.7. "Der Sturm" Premiere feierte. Durch den kleinen Unkraut-Zaubergarten sind die Zuschauer*innen eingetreten in die Welt des Theaters. Hier dürfen sie nun dem munteren Treiben auf einer einsamen Insel um Freiheit und Zwang, um Liebe und Enttäuschung zusehen.
Hier bekommt Prospero (Anselm Lipgens), den es mit seiner Tochter Miranda (Nadja Schimonsky) durch die Machtgier seines Bruder Alfonso (Uwe Beck) von Mailand ins Exil verschlagen hat, die Chance durch einen Sturm alle seine damaligen Widersacher auf die Insel zu spülen. Die ganze Herrscherentourage wird durch den von seinem Luftgeist Ariel entfachten Sturm in die Fluten gestürzt. Wie dadurch seine Tochter und der junge Prinz Ferdinand von Neapel zueinander finden, Prospero vergeben kann und alle geläutert werden, kann hier in der Regie von Jens Schmidl verfolgt werden.
Das Eiland ist eine Insel voller süßer Töne, die die Neuankömmlinge nicht nur im positiven Sinne verzaubert. Die süßen Töne dieser Insel entspringen im Globe Berlin zwei Zylophonen und einer Flöte. Immer wenn sie erklingen, ist Vorsicht geboten; dann lässt Prospero seine Zauberkräfte wieder wirken. Das wirkt improvisiert und unterschwellig virtuos zugleich.
Seine Assistentin ist Ariel (Wiebke Acton). Sie ist hier ein roboterartiges Wesen, das mit Strumpfmaske und aufgemalten Gesicht verfremdet wirkt. Denn sie steht ganz unter der ferngelenkten Kontrolle ihres Meisters Prospero. Zum Schluss lässt er sie wie versprochen frei: "Sei in deinem Element" und küsst zart ihre Hand.
Prosperos Tochter Miranda hat ihre Freude an dem zuerst anspülten Fremdling. Der junge Prinz Ferdinand krabbelt von der Abendsonne passend angestrahlt nur mit einer Unterhose und königlicher Halskrause bekleidet auf die Bretter. Das junge Mädchen im besten Teenageralter verfällt dem gutaussehenden Jüngling von der ersten Sekunde an. Obwohl Ferdinand im Gegensatz zu Miranda durchaus schon andere Frauen zu Gesicht bekam, ist auch er schockverliebt. Doch Prospero will den Wert seiner Tochter steigern und unterzieht Ferdinand zunächst harten Proben. Dass auch beim Holzbohlen Schleppen seine Muskeln gut zur Geltung kommen, schadet dabei nicht. Miranda zerfließt voll Mitleid mit dem Geliebten. So streift sie sich die Bauhandschuhe über und greift beherzt zum anderen Ende der Bohle. "Das kann ich auch!" und hält das massive Holzteil mit einem Finger in die Höhe. "Ruhe dich aus", empfiehlt sie ihm und setzt sich zur Bekräftigung auf das eine Ende der Bohle. Was zur Folge hat, dass Ferdinand krachend zu Boden geht. "Oh, du siehst müde aus". "Nein!" und beginnt sofort mit Liegestützen vorzuführen, dass er stets der starke Held ist. "Ich liebe", gesteht er ihr im nächsten Augenblick ganz erstaunt über sich selbst. Er gibt ihr seine Hand. "Hier ist mein Herz drinnen", entgegnet sie, als sie ihm ihre reicht und wegläuft. Da beide Handwerkerhandschuhe trugen, bleibt er mit dem leeren Handschuh stehen.
Solche Einfälle im perfekten, Zwischenton reichen, punktgenauen Zusammenspiel des Ensembles prägen den Charme dieser Aufführung. Auch dass alle Darsteller*innen noch weitere Rollen spielen und zum Teil halb umgezogen für ihre Zweitrollen aus dem Unterbau auf die Bühnebretter krabbeln, unterlegt die Inszenierung mit einer selbstironischen Ebene.
Doch auch die Metaebenen um Macht und Ohnmacht und um Rache und Vergebung kommen nicht zu kurz.
"Wir fanden alle uns, die wir gar nicht bei uns waren", gesteht Gonzalo ganz am Schluss. Das trifft auch für Prospero selbst zu. Er verzichtet auf seine Zauberkräfte und wird wieder zum Sterblichen, nachdem er Ariel entlassen hat. Er verzichtet auf seine Rache und lernt zu verzeihen.
Schmidl versteht es mit dem durch Leonhard neu übersetzten Text dem Stück eine rau-schalige Heutigkeit zu geben, die ganz in der Tradition von Shakespeare steht. Doch er weiß mit seinem hervorragendem Ensemble auch die vielen zarten und nachdenklichen Zwischentöne anzustimmen.
Doch vielleicht war alles nur eine schöne Utopie? Denn diese Shakespearschen Geschöpfe sind der "Stoff, aus dem die Träume sind", wie die Fotoausstellung von Thorsten Wulff im Garten verrät. In diesen liebevoll arrangierten Traumgarten im Open-O dürfen die Zuschauer*innen sich in diesem Sommer entführen lassen.
Birgit Schmalmack vom 28.7.20










Der Sturm, Globe Berlin Foto: Thorsten Wulff


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Nach dem Kuss, Globe Berlin