Michel Abdollahi, Es ist unser Land, Centralkomite

Michel Abdollahi
Es ist unser Land, Centralkomite
Schon zu spät?
Vor zehn Jahren hieß es: Wir müssen die AFD stoppen, da war sie bei 12 %. Jetzt, zehn Jahre später, ist sie bei 25%. Was ist seitdem passiert? Michel Abdollahi macht gleich am Anfang seiner Buchpremiere klar: Das wird kein guter Abend werden. Denn das Thema ist wenig unterhaltsam. Sein Abend wird ein eindringlicher Appell werden, an all diejenigen, die die Hoffnung nicht aufgeben wollen, dass Deutschland nicht einfach den Rechten zu überlassen sind. Denn Michel will nicht schon wieder eine Heimat verlieren. Er, der als Jähriger mit seiner Oma aus dem Iran nach Deutschland geflohen ist, will in seiner zweiten Heimat Deutschland gerne bleiben können. Doch es gibt immer noch viele, die meinen, dass er nicht dazugehört. Im zweiten Teil seiner Buchvorstellung in seinem Theater, dem Centralkomitee auf dem Steindamm in St. Georg, zeigt er dazu ein kleines Video mit einer Schmell Umfrage aus der Nordheide. Was ist deutsch? Unter Schnellfeuergewehr, Kirche, Moschee, Döner, Sushi und Kopftuch ist auch ein Bild mit seinem Kopf dabei. Ein älterer Mann sortiert ihn gnadenlos aus. Nein, Michel, gehöre nicht zu Deutschland. Eine andere Frau allerdings kommt ins Nachdenken. Zuerst gehörte für sie das Kopftuch nicht dazu. Doch dann entschied sie: Wenn ich Sushi mit reinnehme, dann muss das auch für Kopftuch gelten.
Abdollahi liest an diesem Abend nur den Prolog und das Ende des Buches vor. Dazwischen spricht er lieber direkt die Zuhörenden im vollbesetzten Centralkomitee an. Er schildert ihnen ganz direkt seine Eindrücke vom sich vollziehenden Rechtswende im Lande. Er greift dabei auf seine Recherchen im Nazidorf Jamel, seine Recherchen in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Kiel oder Niedersachsen zurück. Er schaut auf seine charmant nachbohrende, entwaffnend ehrliche, seine sympathisch hinterfragende Art den Deutschen in die Seele. Er wirkt dabei immer freundlich, obwohl die Gegenseite das nicht immer zurückgibt. Er zeigt den Respekt und die Neugier und spiegelt somit die Zustände für die Deutschen, die diese Einblicke gerne die Augen verschließen.
Natürlich sei das hier im beschaulichen Hamburg auch leichter möglich, gibt Abdollahi zu. Aber dennoch sollte jeder und jede aufstehen und nicht mehr als schweigende Mehrheit die Dinge geschehen lassen. Sonst werde sich dieses Land blad so verändern, dass es für viele gefährlich werden könnte. Auch wenn er beim Blick in sein Publikum, das fast durchgehend aus weißen Köpfen besteht, zugeben muss, dass viele von denen, die es bestreffen werde, vielleicht nicht hier heute Abend im Centralkomitee sitzen. Die Schlangen vor dem Büchertisch waren am Schluss lang. Viele Menschen beherzigten Abdollahis Vorschlag und kauften gleich mehrere Exemplare. Zum Verschenken gerade an diejenigen, die vielleicht schon in ihren Überzeugungen nach rechts gerutscht seien.
Birgit Schmalmack vom 6.9.25
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