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Yggdrasil - Geschichten aus der Edda, ANU-Theater

Wie Trickster die Welt gestalten


Einige der Namen kennt jede:r aus dem Publikum. Odin, Thor, Loki, Walhalla, Siegfried. Auch wenn den meisten die Edda, die „nordische Bibel“, wie die Leiterin des Anu-Theaters Bille Behr die literarische Vorlage für ihre Inszenierung, die sie zusammen mit ihrem Mann Stefan erschaffen hat, nennt, noch nie in den Händen gehalten haben dürften. Denn die Figuren und ihre Geschichten haben z.B. Eingang in Tolkiens „Herr der Ringe“ und die Netflixserie „Ragnarök“ gefunden. Auch Wagnerfans dürften einige Namen geläufig sein, wenn auch in etwas abgeänderter Form. Denn diese Geschichten sind so kraftvoll und dramatisch, dass sie zu immer wieder neuen Bearbeitungen angeregt haben.

Diese Edda-Welt hat nun das Anu Theater dazu verleitet, ihr ein ganz eigenes Universum auf dem Tempelhofer Feld einzurichten. Neben ihrer abendfüllenden Inszenierung bieten sie Workshops, Philosophische Salons, Matinieen, und Familienvorstellungen an. So kann jeder eintauchen in eine Welt, die von Riesen, Zwergen Elfen, Göttern und Halbgöttern bevölkert wird.

Dieses Mal bieten sie ihrem Publikum für die gesamte Aufführung einen festen Sitzplatzes an, denn die Zuschauenden sollen sich ganz auf das Zuhören einlassen können. Die Tradition der mündlichen Weitergabe soll hier auf der Naturbühne mitten in Berlin wiederbelebt werden. Wenn die Naturgewalten das Leben der Menschen jederzeit ungeschützt durcheinander wirbeln können, dann kann die Vorstellung von Riesen mit unglaublichen Kräften eine beruhigende und ordnende Erklärung bereithalten. So ermöglichten ihnen diese Geschichten einen Halt in einer Welt, die ansonsten rätselhaft bleiben musste.

Während in den bekannten, filmischen oder literarischen Bearbeitungen in den Hauptrollen meist nur Männer zu sehen sind, haben hier die Erzählerinnen (Bärbel Aschenberg, Johanna Malchow und Kathleen Rappolt)

das Zepter auf. Drei Schauspielerinnen gestalten die Wahrnehmung ihrer Geschichten. Sie sind die weisen Erzählerinnen, die Nornen. Immer eine von ihnen ist die Haupterzählerin einer neuen Sage, während die anderen zu ihren Requisiten werden: zu Bäumen, zu Steinen, zu Metallen, zu Göttern, zu Schlangen und zu Riesen. Dazu nutzen sie auf dem Areal unter der Baumgruppe die beleuchteten Glaskästen, die geheimnisvoll grün schimmern, als ihre kleinen Bühnen. Und die aus grobem Holz geschnitzten Skulpturen, die überall verteilt stehen, zu ihren stummen Mitspielern.

Sie geben Berichte ab, von dem Wirken der Götter, die sich bei Bedarf in andere Menschen oder Tiere verwandeln können, um ihre Ziele zu erfüllen. Sie führen die Menschen hinter Licht. Doch letztendlich werden auch sie ihrem Schicksal nicht entkommen. Die Edda bietet nicht nur Wesen an, die man nicht vorschnell in gut und böse einteilen kann, sondern auch Geschöpfe wie Trickster. Loki ist so einer, weder Gott noch Mensch, aber mit großer Energie und ungeahnten Fähigkeiten ausgestattet. Er steht im Mittelpunkt dieser Inszenierung.

Im Schnelldurchlauf führt der Abend von der Erschaffung der Welt bis zu ihrem Untergang. Ausgerechnet Lokis tierische Kinder bewirken die Apokalypse. Wenn die Erde von der sie umspannenden Schlange erdrückt und die Menschen von den Hunden in die Enge getrieben wird, hat sie keine Chance mehr. Die Geschichten zeigen: Auch damals gab es schon sogenannte Trickster, die glaubten mit ihrem Ränkespiel ihre Macht zu zementieren und die am Ende nicht nur den Untergang der Welt provozierten, sondern auch selbst sich selbst damit vernichteten.

Manche werden zunächst das gewohnte Anu-Theater-Arangement mit dem Spazieren durch die verschiedenen Stationen vermissen, doch hier geht es eben nicht um kurze Stippvisiten sondern um ein konzentriertes Einfühlen. Allerdings werden diejenigen mehr Spaß an der dieser Arbeit haben, die sich ein wenig mit den vorkommenden Figuren auskennen. Dann kann das große Personentableau leichter an schon vorhandenes Wissen anknüpfen. Doch es ist auch möglich, sich einfach hineinziehen zu lassen in diese mythische Vorstellungswelt. Denn sie enthält durchaus Parallelen zu heutigen Figuren und Verhaltensweisen, die aus einer Zeit zu stammen scheinen, die weit vor Wissenschaftserkenntnissen, Bildungszuwachs und Aufklärung liegen und sich jeden der Vernunft folgenden Erklärungsversuchen entziehen. Sollten wir nicht schon weiter sein? Was ist angesichts dieser Ähnlichkeiten vom vermeintlichen Fortschritt zu halten?

Birgit Schmalmack vom 18.5.25

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