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Miles mysteries, Halle-Berlin

Miles Mysteries in der "Halle" - Berlin Foto: cyan


Wenn die Vernunft schläft

Wenn die Vernunft schläft
„Der Schlaf der Vernunft“ ist ein Bild von Goya übertitelt. Während der Verstand ausgeschaltet ist, überfallen den Schlafenden seine Alpträume. Geier stürzen sich auf ihn, während er die Arme über dem Kopf verschränkt. Goya geht es um die zahlreichen Schwächen im menschlichen Miteinander, die er in seinen Bildern offenlegen will. Auf diese Spuren begibt sich nun Toula Limnaios mit ihrer neusten Choreographie „Miles mysterie“.
Sechs Seile hängen in der „Halle“, einer ehemaligen Turnhalle im Prenzlauer Berg, von der Decke. Doch hier sind sie kein Sportgerät sondern ein Sinnbild für die zahlreichen Verstrickungen im Leben, fürs resignative Hängen in den Seilen, für die Auslieferung an den Anderen, für die Knebelung durch die Machthaber und letztendlich für den Strick. Für all das findet Limnaios erschreckend eindrucksvolle Bilder.
Die Tänzer springen auf die Seile, hängen wie tote Vögel in den Seilen und fallen plötzlich gleichzeitig zu Boden. Etwas Schreckliches scheint in der hinteren Ecke zu geschehen: Mit großen Augen und aufgerissenen Mündern schauen die Tänzer. Sie rennen fasziniert und abgestoßen zugleich hin und wieder fort. Eine Frau, völlig in ein Seil eingebunden, hängt in einer Knotenschaukel. Ein Mann zerrt sie wie ein hilfloses Opfer an ihren Haaren im Kreis herum, ganz wie es ihm gefällt. Eine Frau führt eine andere wie ein Hund spazieren. Die Leine ist dabei eine Tasche, in der der Kopf der Frau steckt. Auch wie ein Pas de deux auf einem Seil geht, zeigt Limnaios: Mal schwingt sich der Mann auf das Seil, klettert auf die Schultern der Frau, mal umgekehrt. Sie winden sich umeinander, ringen um die Position, die ihnen kurzfristig Halt gibt. Sie schlingen sich gegenzeitig Schlaufen als Treppenstufen, die sich jedoch sofort wieder auflösen.
Die Bilder lassen an Gewalt, Folter, Abhängigkeit, Unterwerfung, Demütigung denken. Immer wieder klingt in den Tanzszenen ein Hoffen an, das wenig später enttäuscht wird. Zwischen Normalität und Wahnsinn ist die Arbeit angesiedelt. Das zeigen auch die Kostüme: Kommen die Tänzer zunächst noch in bunter Alltagskleidung auf die Bühne, so legen sie in rascher Folge Rollenkleidung an. Von Entblößungen bis zum Hochzeitskleid ist alles dabei. Wenn das Bilderkarussel in der zweiten Hälfte so richtig in Fahrt gekommen ist, jagt ein Eindruck, eine kleine Szene, eine kurze Geschichte die nächste. Die Alptraum-Vögel stürzen nicht nur auf den Schlafenden sondern auch auf den Zuschauer ein.
Dieser Abend verschont nicht. Nicht umsonst heißt er im Untertitel „Die schreienden Bilder“. So endet dieser beeindruckende, starke Abend mit einem markdurchdringenden Schrei. Limnaios hat mit ihren ausdrucksstarken sieben Tänzern und der Musik von Ralf Ollertz eine Choreographie geschaffen, deren Bilder einen noch lange begleiten werden.
Birgit Schmalmack vom 2.8.14