Gegengift, Neuköllner Oper
Denn so märchenhaft das „Gegengift“ auch zum Teil in seinen Stilmitteln auf der Bühne daherkommt und wie esoterisch anmutend auch mancher Lösungsansatz klingen mag, klugerweise erlaubt sich das Team keine einfachen, eindeutigen Lösungen. Im Scheitern läge eine Hoffnung, so versuchen sie sich zum Schluss in Zweckoptimismus. So enden? Hatten sie am Anfang nicht vollmundig einen hoffnungsvollen Abend in düsteren Zeiten versprochen? Spontaner Vorschlag aus dem jugendlichen Team: Lass uns wenigstens mit Musik und Tanz enden! Also wird die ernüchternde Botschaft des Schlusses noch einmal gesungen und mit einer Choreographie verschönt. Doch vor dem letzten Wort brechen sie einfach ab. Das Wort Hoffnung kommt ihnen nicht mehr über die Lippen. Ist das jetzt wirklich das Ende? Erst nach der Aufforderung von der Bühne traut sich das Publikum zu klatschen.(Foto: Peter van Heesen)

Die schmutzigen Hände, Thalia
Jan Bosse stellt in den Mittelpunkt seiner Inszenierung von Satres "Die schmutzigen Hände", die zur Eröffnung des diesjährigen Hamburger Theaterfestival als Gastspiel des Schauspielhauses Zürich im Thalia Theater zu sehen war, nicht den ideologischen Konflikt um die politischen Auffassungen, sondern die zum Scheitern verurteilte Annahme, dass es um die Suche nach der einen, richtigen Wahrheit gehen würde. Diese muss scheitern, weil genau diese Wahrheit keine Ausflüchte mehr gestatten würde. Hugo sucht und fürchtet sich zugleich vor dieser Eindeutigkeit. Er liebt die Spielchen der Belanglosigkeit, in denen alles möglich ist. Das zunehmende Gefühl der Leere und Langeweile, das sich genau deswegen in ihm ausbreitet, lässt ihn ein williges Opfer für die Ismen in der Parteiideologie werden. In einem Klima der Beliebigkeit, der Dauerevents, der Spaßberieselung gedeihen Ideologien mit strikten Handlungsanweisungen, die das Denken nicht benötigen, hervorragend.

geRecht II, tak
Durch die lebensgroßen Filmaufnahmen kommen die Figuren den Zusehenden sehr nahe. Harfouch beeindruckt in ihrem feinsinnigen Spiel, das genau an der Nahtstelle zwischen professioneller Selbstsicherheit und privaten Selbstzweifeln balanciert. Bis sie in der Talkshow beide Haltungen verbindet und der Öffentlichkeit die Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung erklärt. Spätestens die Konfrontation mit der jungen Frau in Sachsen, die ihr die Schuld an dem Verlust ihrer Heimat unterstellt, hat ihr gezeigt, dass mehr Transparenz nötig ist. Nicht ohne Konsequenzen, wie der Nachspann andeutet.

Eines langen Tages Reise in die Nacht , DT
Auf einmal fiel es schwer, die innerliche Distanzierung aufrecht zu erhalten. Worüber könnte man sich nun noch erheben? Fast zwei Stunden hatte man vier Menschen zugeschaut, die so erfolglos wie verzweifelt ihr Leben versuchen zu meistern. Doch genauso hilflos scheinen wir auch im politischen Leben zu sein, unsere Probleme anzugehen. Zugegeben, dass ist ein etwas gewollter Bezug, den Nübling hier versucht herzustellen, aber dennoch kann man sich zum Schluss dieser ungewöhnlichen Inszenierung des Bühnen-Klassikers nicht dem übermächtigen Gefühl der Verzweiflung entziehen, die man zuvor nur auf die Familie Tyron projiziert hatte. Trinken wir nicht alle? Verdrängen und hoffen wir nicht alle? Dass es falscher Alarm ist, dass es schon nicht so schlimm kommen wird, wie Yishai in ihrem Text sagt? Und hängt das eine nicht mit dem anderen zusammen? (Foto: Thomas Aurin)

Jugend ohne Gott, DT
So wagt diese Inszenierung einen Spagat zwischen einer Romanadaption mit dezidiert künstlerischen Bühnenmittelnund selbstvergewissernden Dokutheater mit biographischen Elementen. Es ist den jungen Schauspieler:innen auf der Bühne zu verdanken, dass sie es mit ihrer Überzeugungskraft und Spielfreude schaffen, die Aufmerksamkeit bis zum Ende gespannt zu halten. (Foto: Jasmin Schuller)
Pop! Andy Warhol&The Velvet Underground, etb
Wie wird Pop zu Kultur? Dieser Frage geht Günther Grosser, der Regisseur und künstlerische Leiter des English Theatres auch im dritten Teils seiner Recherche-Serie nach. Dieses Mal will er mit seinem Team ergründen, wie ein Pop-Künstler mit seinen an Werbegrafiken erinnernden Siebdrucken zu einem der Bestseller des internationalen Kunstmarktes werden konnte. Nicht die Figur des Andy Warhols steht im Mittelpunkt dieses multimedialen Abends, sondern sein künstlerisches Schaffen als Lebenskonzept. (Photo by Stefania Migliorati)
Gittersee, BE
Rebentisch ist eine intelligente Umsetzung des Romans von Charlotte Gneuß gelungen. Sie lebt von der grandiosen Verkörperung der Karin durch Amelie Willberg, die ihre Rolle genau an der Nahtstelle zwischen Verwunderung, Verunsicherung, Verletzung, Aufbegehren und Selbstbestimmung ansiedelt. Eine beeindruckende Leistung, die das Verstehen ihrer Haltung ohne Vorverurteilungen ermöglicht. (© Moritz Haase)
Das Dinner, DT
Sehr leicht könnte man sie fast übersehen, die aufrüttelnde Botschaft dieses Stückes im Deutschen Theater, kommt es doch im Stile einer Yasmina Reza-Aufführung daher. Eine Ausgangslage wie bei der an zahlreichen Bühnen des Landes gespielten Autorin: Zwei bildungsbürgerliche Ehepaare treffen sich. Es geht um das Verhalten ihrer Söhne. Nach kurzer Zeit fängt die Firnis ihrer gutbürgerlichen Fassade an zu bröckeln, bis zum Schluss nichts mehr davon übrig sein wird. (Foto: Thomas Aurin)

It’s Britney, Bitch!, BE
Das klingt nach einem echten Glücksrezept, das die Bühnen-Britney hier von sich gibt. Die Pop-Ikone der späten 1990-er Jahre, die das Leben vieler Jugendlicher prägte, hatte schon als Teenager große Karriere gemacht. Sie performte auf der Bühne ein weibliches Ideal, von dem die Frauen wünschten, es selbst zu erfüllen, und die Männer, so eine Frau zur Freundin zu haben. Ihre Bühnenshows waren ungewöhnlich sexy und freizügig. Unterwarf sie sich damit einem Objektideal oder emanzipierte Sie sich gerade nach eigenen Wünschen davon? Das waren damals noch etwas unübliche Fragen, die sich aber Sina Martens und Lena Brasch in ihrer Arbeit „It’s Britney, bitch!“ stellen- mit einem Blick aus der Gegenwart auf die Vergangenheit. (© JR Berliner Ensemble)

Faustus :: 1550 San Remo Drive, Berliner Ensemble
Durch die VR-Brillen, die die Zuschauer:innen sich immer wieder aufsetzen sollen, werden die Perspektiven gewechselt. Sitzen wir zunächst noch auf unseren Plätzen im Rang, so befinden wir uns bald im Körper von Thomas Mann, blicken in die Runde seiner Familienmitglieder, in die Augen seiner Kritiker oder liegen direkt selbst im Laufstall. Zum Schluss sind wir tot. Wir blicken auf unsere bzw. die nackten Füße des gerade verstorbenen Manns. (Foto: Jörg Brüggemann)

Kiezstürmer 2025, St. Pauli Theater
Das Buch der Bücher? Welches könnte das sein? Für das bieder zurechtgemachte Ehepaar in Anzug, Blümchenkleid zu Perlenkette ist es klar die Bibel. Für den Jorgen in T-Shirt und Laminatweste selbstverständlich der IKEA-Katalog. Und für die drei Herren in ihren schwarzen Anzügen und den Quadrathüten kommt dafür nur das Telefonbuch für Hamburg in Frage. Wie sich nun alle Vertreter:innen ihrer jeweiliges Buches zwischen den drei verschiebbaren Raumecken mit insgesamt sechs Türen die Show streitig machen, ist ein Hochgenuss der Theaterkunst.

Der Ursprung der Welt, Monsun
So vergnüglich hat man selten etwas über die Vulva und weibliche Sexualität gelernt. Die beiden Performerinnen glänzen in ihrer Comedy-Lecture-Performance. Somit treffen die Regisseurinnen Meike Krämer und Amelie Möller vom Kollektiv frau emma gelb genau den witzigen unterhaltsamen und dennoch informativen Stil der Vorlage für diesen Abend: Graphic Novel von Liv Strömquist. Ein toller Eröffnungsabend für das neue Monsuntheater in der Billrothstraße.(Foto: G2 Baraniak)