Kollektiv Muse, Satellit
Olalusi hinterfragt in kurzen, wortgewandten, sprachspielenden Sätzen, die wie ein Gedicht anmuten, die altbekannten Weisheiten, die unsere Weltsicht so oft prägen. Sie streift dabei wie en passant alle wichtigen Aspekte der heutigen Zeit: Unterdrückung, Machtmissbrauch, Rassismus, Kapitalismus, Naturzerstörung. Kleiner macht sie es nicht. Im Kontrast dazu benutzt sie ihre Bühnenmittel sehr zurückhaltend. Das kann sie sich leisten, denn ihre Bühnenpräsenz hat auch so ihre Wirkung. In jeder noch so kleinen Geste liegt eine Kraft, die ihre Worte unterstreicht. Dabei ist dieses Stück nur ein „Work in Progress“, wie eine der Musen zu Beginn erläuterte. Und jetzt schon sehenswert. Ein starker Eröffnungsabend, der große Lust auf weitere Besuche im Satellit macht.

"#Armutsbetroffen", Lichthof
Helge Schmidt und sein Team holt das schambehaftete Thema der Armut ins Scheinwerferlicht. Er stellt sich dabei ganz auf die Seite der Armutsbetroffenen. Gerade zur jetzigen Debatte über die vermeintliche Ausnutzung des Sozialsystems und die anstehenden Kürzungen der Sozialleistungen ein Thema, das relevant ist und zu dem die Betroffenen gehört werden sollten. (Fotos: © Fabian Raabe)

Second Class Queer, EDT
Es ist bewundernswert, wie der Autor und Schauspieler Kumar Muniandy es schafft, so schwere Themen in einem berührenden und witzigen Abend zu vereinen. Er geht in die Tiefe und verführt dennoch zum Lachen. Dass Muniandy dies alles ganz alleine auf der Bühne zu verkörpern vermag, ist beeindruckend. Durch Tonbandaufnahmen seiner Gesprächspartner, auf die er mit großer Empathie, Emotionalität und Authentizität reagiert, entsteht der Eindruck, als wäre man live bei dem Speed Dating dabei gewesen. Und mehr noch: Als wäre man dabei in Muniandys Haut geschlüpft. Da nur er auf der Bühne zu sehen ist, rutschen die Zuschauer:innen mit ihm zusammen auf seinem Stuhl unangenehm und dennoch um Höflichkeit bemüht hin und her. Und erfahren ganz nebenbei, was es heißt mit den Auswirkungen von Rassismus, Klassismus und Homophobie gleichzeitig konfrontiert zu sein. Ein toller Abend, dem man noch sehr viele Zuschauende wünscht.

Frankenstein, EDT
Während auf der Bühne eigentlich alles nur im Kopf passiert und die Zuschauer sich auf dieses Experiment einlassen müssen, stellen sich die Fragen nach Verantwortung und Schuld ganz automatisch. Gerade in einer Zeit, in der durch die KI die Erschaffung von menschenähnlichen Denk- und Handlungsstrukturen möglich zu werden scheint, sind sie aktueller denn je. Diese Inszenierung wagt es sie in vollkommener Abstraktion zu stellen. Sie vertraut dem Theater als Imaginations- und Denkraum, das ganz von seinem tollen Schauspielerensemble lebt. Sie verzichtet fast vollständig auf Bebilderung und verlangt dem Publikum einiges an Anstrengungsbereitschaft ab. Aber es lohnt sich, sich auf dieses Experiment einzulassen. (Foto: Sinje Hasheider)

Sie sagt. Er sagt, Kammerspiele
Die Anhörung von Sachverständigen, Gutachterinnen, Kriminalbeamtinnen stützen mal die Glaubwürdigkeit der Klägerin und mal die Zweifel der Gegenseite. Erst als der Richter kurz vor Ende der Klägerin und dem Angeklagten die Möglichkeit zu abschließenden Bemerkungen gibt, entschließt sich der Mann das Wort zu ergreifen. Seine Version ist eine ganz andere. Plötzlich steht direkt Aussage gegen Aussage. Doch warum hat ihn seine Verteidigerin noch kurz zuvor versucht, von diesem Schritt abzuhalten? Die schwierige Suche nach der Wahrheit wird nicht einfacher, auch nicht, als vor dem endgültigen Ende des Stückes eine weitere überraschende Wendung eintritt. So ist für Diskussionsbedarf auch nach dem begeisterten Schlussapplaus für das anregende Stück gesorgt. Dank der psychologisch genauen, sachlichen und von wenig künstlerischen Einfällen gestörten Inszenierung, bei der sich Regisseur Axel Schneider ganz auf Ferdinand von Schirachs Theatervorlage verlässt, werden die Zuschauer:innen sich auf ihr eigenes Urteilsvermögen verlassen müssen.

Black Rider, Altonaer Theater
Im Gegensatz zu Wilsons Arbeit gibt es im Altonaer Theater keine schwarz-weiße Abstraktion, sondern eine quietschbunte Jahrmarktsatmosphäre zu sehen. Die Auftritte erfolgen durch Vorhänge aus lauter bunten Kuscheltieren. Der Wald besteht aus Bäumen von Luftballons. Die Live-Musiker:innen sind gleichzeitig Teil des Darstellerteams. Alle sind in türkis-pinke Kostüme gekleidet, die stets wie ihr Spiel zwischen Skurrilität und Klamauk changieren. So ist der Ton des Abends vorgegeben: Ganz ernst wird die Teufelsgeschichte hier nicht genommen werden. (Fotos: Caren Detje)
Yggdrasil - Geschichten aus der Edda, ANU-Theater
Manche werden zunächst das gewohnte Anu-Theater-Arangement mit dem Spazieren durch die verschiedenen Stationen vermissen, doch hier geht es eben nicht um kurze Stippvisiten sondern um ein konzentriertes Einfühlen. Allerdings werden diejenigen mehr Spaß an der dieser Arbeit haben, die sich ein wenig mit den vorkommenden Figuren auskennen. Dann kann das große Personentableau leichter an schon vorhandenes Wissen anknüpfen. Doch es ist auch möglich, sich einfach hineinziehen zu lassen in diese mythische Vorstellungswelt. Denn sie enthält durchaus Parallelen zu heutigen Figuren und Verhaltensweisen, die aus einer Zeit zu stammen scheinen, die weit vor Wissenschaftserkenntnissen, Bildungszuwachs und Aufklärung liegen und sich jeden der Vernunft folgenden Erklärungsversuchen entziehen. Sollten wir nicht schon weiter sein? Was ist angesichts dieser Ähnlichkeiten vom vermeintlichen Fortschritt zu halten?

Wie im Himmel, Ohnsorg Theater
Regisseur Harald Weiler nutzt die Film- und Romanvorlage für seine Inszenierung am Ohnsorg Theater für einen nachdenklichen Wohlfühlabend mit Musik und Botschaft. Er schneidet die Szenen geschickt und unaufwendig auf offener Bühne ineinander. Auf der Drehbühne wird die nebelige norddeutsche Landstraße zum holzgetäfelten Gemeindesaal. Weiler gelingt es, die Vorlage völlig kitschfrei auf die Bühne zu bringen, trotz all der vielen Happy-Endings, die die Musik hier den Menschen beschert. Die authentischen und sympathischen Darsteller, die auch noch hervorragend singen können, machen den Abend überaus sehenswert und bescheren den einen oder anderen Gänsehautmoment im Ohnsorg Theater. (Foto: Oliver Fantitsch)

Invisible Hand, English Theatre
Die Inszenierung von Clifford Dean setzt ganz auf seine drei Hauptdarsteller. Lee White als Nick nimmt man den verängstigten Todeskandidaten, der alles tut, um am Leben zu bleiben in jedem Moment ab. Er führt in seinem Spiel durch alle Gefühlszustände der Verzweiflung, der Hoffnung, der Todesangst und der Erkenntnis seiner Machtlosigkeit. Man fühlt mit ihm mit. Ismail Khan als Bashir macht mit seinem pakistanischen Londoner Akzent die Klassenunterschiede von vornherein deutlich. Er leidet unter der Diskriminierung, die er Zeit seines Lebens von den Weißen erfahren hat und die er nun an Nick auslassen kann. Er kann sie nun durch umso Härte gegenüber Nick ausspielen. Rohit Gokani als Imam gibt den jovialen Gutmenschen, der die Menschlichkeit selbst unter diesen Umständen zu bewahren will. Doch das ist nur Schein. Immer wieder spielt er seine Macht aus, um zu zeigen, von wessen Gnade das Weiterleben abhängig ist. Es braucht nicht mehr als eine Gefängniszelle, um einen hochspannend Psychothriller zu erzählen.