Fame, First Stage
So kommt in der Inszenierung von Erik Petersen am First Stage Theater nichts zu kurz. Weder die mitreißenden Songs noch die fetzigen Choreographien, weder die einzelnen Entwicklungsgeschichten noch das Auf und Ab der Gefühle, die damit verbunden sind. Eine gelungene Neuinszenierung des berühmten Musicals, die sicher auch deswegen so gut gelang, weil sie so perfekt in dieses Theater passt. Stehen doch hier immer wieder Absolventen der eigenen Musicalschule auf der Bühne. Wer wüsste besser als sie, welche Achterbahnfahrten ihre Emotionen absolvieren müssen, bis sie zu Fame gelangen. Die nötige Authentizität ist hier inklusive, denn alle auf dieser Bühne wissen genau, wovon sie erzählen.((c) Dennis Mundkowski)

Jacques Brel - Träume die nie enden", Tonali
Von dieser Karriere erzählt Veronique Elling zusammen mit ihrer Band an ihrem Abend „Jacques Brel - Träume die nie enden“. Mit weltbekannten Liedern wie „Amsterdam“, „Ne me quittez pas“ und „Le plat pays“, die Gänsehautmomente erzeugen. Während sie von Stationen aus Brels Leben erzählt, aus Briefen an seine Frau vorliest und aus Interviews mit Brel zitiert, flicht sie auch Chansons ein, die weniger bekannt sind und hervorragend zu den Phasen seines Lebens passen. Denn Brels Lieder kamen aus seinem Herzen. Und sie gingen deswegen auch bei den Zuhörerenden zu Herzen. Sie berührten, weil sie voller Emotionalität waren. Diese vermag auch Elling mit ihrer warmen, ausdrucksstarken Stimme zu vermitteln. So gibt diese Künstlerin den Chansons des Frauenhelden Brels eine tiefe Bedeutung, so lässt sie sie zu ihrem Publikum sprechen.

Michel Abdollahi, Es ist unser Land, Centralkomite
Abdollahi liest an diesem Abend nur den Prolog und das Ende des Buches vor. Dazwischen spricht er lieber direkt die Zuhörenden im vollbesetzten Centralkomitee an. Er schildert ihnen ganz direkt seine Eindrücke vom sich vollziehenden Rechtswende im Lande. Er greift dabei auf seine Recherchen im Nazidorf Jamel, seine Recherchen in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Kiel oder Niedersachsen zurück. Er schaut auf seine charmant nachbohrende, entwaffnend ehrliche, seine sympathisch hinterfragende Art den Deutschen in die Seele. Er wirkt dabei immer freundlich, obwohl die Gegenseite das nicht immer zurückgibt. Er zeigt den Respekt und die Neugier und spiegelt somit die Zustände für die Deutschen, die diese Einblicke gerne die Augen verschließen.

Wie im Himmel, Ohnsorg Theater
Regisseur Harald Weiler nutzt die Film- und Romanvorlage für seine Inszenierung am Ohnsorg Theater für einen nachdenklichen Wohlfühlabend mit Musik und Botschaft. Er schneidet die Szenen geschickt und unaufwendig auf offener Bühne ineinander. Auf der Drehbühne wird die nebelige norddeutsche Landstraße zum holzgetäfelten Gemeindesaal. Weiler gelingt es, die Vorlage völlig kitschfrei auf die Bühne zu bringen, trotz all der vielen Happy-Endings, die die Musik hier den Menschen beschert. Die authentischen und sympathischen Darsteller, die auch noch hervorragend singen können, machen den Abend überaus sehenswert und bescheren den einen oder anderen Gänsehautmoment im Ohnsorg Theater. (Foto: Oliver Fantitsch)

Invisible Hand, English Theatre
Die Inszenierung von Clifford Dean setzt ganz auf seine drei Hauptdarsteller. Lee White als Nick nimmt man den verängstigten Todeskandidaten, der alles tut, um am Leben zu bleiben in jedem Moment ab. Er führt in seinem Spiel durch alle Gefühlszustände der Verzweiflung, der Hoffnung, der Todesangst und der Erkenntnis seiner Machtlosigkeit. Man fühlt mit ihm mit. Ismail Khan als Bashir macht mit seinem pakistanischen Londoner Akzent die Klassenunterschiede von vornherein deutlich. Er leidet unter der Diskriminierung, die er Zeit seines Lebens von den Weißen erfahren hat und die er nun an Nick auslassen kann. Er kann sie nun durch umso Härte gegenüber Nick ausspielen. Rohit Gokani als Imam gibt den jovialen Gutmenschen, der die Menschlichkeit selbst unter diesen Umständen zu bewahren will. Doch das ist nur Schein. Immer wieder spielt er seine Macht aus, um zu zeigen, von wessen Gnade das Weiterleben abhängig ist. Es braucht nicht mehr als eine Gefängniszelle, um einen hochspannend Psychothriller zu erzählen.

Königs schenken nach, Schmidts Tivoli
Der zweite Teil des Kiezmusicals über die sympathische Undergroundfamilie aus lauter Individualisten erfüllt die hohen Erwartungen an eine Unterhaltung, die lustvoll mit Kiezklischees spielt, ihre Charaktere aber nie verrät, und die freudig Klamauk abliefert, aber nie ins Geschmacklose abdriftet. Hier kann man sich amüsieren, ohne sich hinterher dafür schämen zu müssen. (Fotocredit Szenenfotos: Morris Mac Matzen)

Borda, Berliner Festspiele
Die Tänzer:innen auf der Bühne überwinden etliche Grenzen. Zuerst ganz reale, die Länder und Kontinente voneinander trennen. Dann aber auch zwischen Verschlossenheit und Öffnung, zwischen Langsamkeit und Tempo, zwischen Verstecken und Leichtigkeit, zwischen Stille und Tanzmusik, zwischen Zurückgezogenheit und übersprudelnder Energie. Diese Grenzen muss auch das Publikum überschreiten, das sich aber leicht mitreißen lässt von der beeindruckender und überraschender Transformation, die Choreografin Lia Rodrigues mit ihrer Companhia de Dançashier präsentiert. Was alles möglich ist, wenn die realen und die Grenzen im Kopf überwunden werden, zeigt sie hier.

Some thing folk, HAU
Ihre ungelenken, unkoordinierten, tolpatschigen Bewegungen scheinen keinen Sinn zu geben. Mal glaubt man sich in einem Zoo, mal in einem Kindergarten, mal in einer Psychiatrie. Doch sie geben nicht auf. Sie üben immer weiter. Schließlich entdecken sie das Prinzip der Nachahmung. Eine Gruppe findet zu gemeinsamen Bewegungsmustern.
When the bleeding stops, HAU
Sie sollten sichtbar werden. Das hatte Gunnarsdóttir sich vorgenommen und das hat sie eindeutig geschafft. Dass diese ausgelassene selbstvergewissernde Stimmung sich auf das Publikum übertrug, lag nicht nur an der mitreißenden Kraft der Frauen auf der Bühne sondern auch an Gunnarsdóttirs charmanter und sympathischer Warmherzigkeit. Zum Schluss tanzte der ganze Saal voller Euphorie mit. (Foto: Tale Hendnes)
suan, Sophiensäle
Nach dem Schlussapplaus kommen alle noch einmal auf die Bühne, doch nicht um sich nochmals zu verbeugen, sondern um das Publikum mit auf die Bühne zu bitten. Zusammen tanzen alle völlig gelöst von jedem Regelwerk, aber dennoch angeregt durch das neue Bewegungsmaterial, das die Künstler:innen im Eins-zu-Eins-Modus anbieten. Das war eine Arbeit, die den Einblick in die thailändische Bewegungskultur erlaubte und zeigte, wie auch die engen Grenzen eines Zeremoniells mit sanften Methoden überschritten werden können. (Foto: Dajana Lothert)
Magec/the Desert, HAU 2
Der Abend, endet wie er begann. Die DJane verlässt ihr Pult, meditative Gesänge erklingen und alle schreiten eine nach dem anderen in großer Ruhe von der Bühne. So wie der Lebensraum der Wüste für Uneingeweihte immer einer voller Geheimnisse bleiben wird, so zeigt sich auch dieser Abend als einer, der bewusst bedeutungsvolle Bilder verwendet, die sich nicht vollends auflösen lassen.(Foto: Louka Van Roy)

NARZISSUS OBSOLETUS, Nie-Theater
Für ihr „Klo-Theater“ hat das Nie-Kollektiv wie gewohnt mit seinem besonderen Sinn für Hintergründigkeit, Experimentierlust und Skurrilität ein neues Stück entwickelt. In dem engen Raum des ehemaligen Klohäuschens im Victoriapark, der bis auf den allerletzten Platz gefüllt war, nutzen sie die kleine Bühne voll aus. Mit mehreren Ebenen, die durch transparente Vorhänge und Folien voneinander getrennt wurden, und Kamerafahrten, die den Raum bis auf die Kreuzbergstraße erweiterten, ließen sie das Publikum teilhaben an ihren mit großem Ernst vorgetragenen Überlegungen.

Maß für Maß, Shakespeare Company
Dennoch, dieses Theater am Insulaner ist ein Volkstheater, ganz in bester Tradition von Shakespeare. Derbe Späße gehen fast nahtlos in Gesellschaftskritik über. Klamaukige Szenen voller Slapstick und Running Gags, wechseln mit stillen Momenten, die nachdenklich stimmen. Dieses Ensemble schafft diese auch immer wieder durch mehrstimmigen Chorgesang, der das Gehörte und Gesehene nachwirken lässt. Das ist nicht nur tolles Schauspielerhandwerk des spielfreudigen Ensembles, sondern zeugt von künstlerischem Anspruch. Hingehen und sich von allen Aspekten unterhalten und anregen lassen. Ganz nach dem Motto: Hinter jedem noch so derben Spaß kann sich eine Erkenntnis verstecken.

NOT, Berliner Festspiele
Mehr Erlösung gibt es nicht, in einer Welt, in der die Ungerechtigkeit, der Eigennutz und die Gewalt immer mehr die Führung zu übernehmen scheint. Tanz gibt es allerdings bei diesem Stück wenig. Was Freitas hier mit ihrem ausdrucksstarken Ensemble zeigt, ist mehr Bewegungstheater mit klarem politischen Impetus. Das löste beim Berliner Publikum einige Verwunderung, wenig Ablehnung und viel Begeisterung aus.

Dambudzo, Alte Münze
Das ist ein Abend, der niemanden kalt lassen kann, denn er geht unter die Haut, er wühlt emotional auf und hinterlässt ein Gefühl der Verunsicherung. Wenn er auch zunächst wie die ersten Videobilder nur eines verspüren lässt: Gedanken an Flucht. Doch wenn man geblieben ist und sich dem Folgenden ausgesetzt hat, wird man feststellen, dass es sich gelohnt hat. Nora chipaumire verbindet die äußert anstrengenden Phasen so geschickt immer wieder mit Zeiten des Wohlfühlens, dass die entsprechenden Fallhöhen bis zum Schluss als Warnung lauern. So hat man hinterher das Gefühl: Man hat etwas verstanden, doch nicht durch einen intellektuellen Weg. Der Erkenntnisprozess ist direkt durch den Körper gegangen und hat die Bauch-, Hüft-, Herz- und sämtliche Gefühlsregionen erreicht. Eine politische, kluge und vereinnahmende Arbeit.

Derniers feux, HAU 1
Die Menschen erscheinen hier hilflos, planlos, ziellos, unfähig zur Absprache oder Teamarbeit. Falls man das als Metapher für unsere derzeitige Weltlage lesen soll, dann hat der erst dreißigjährige Choreograph Némo Flouret bei seiner Deutschlandpremiere von „Derniers feux“ wenig Zuversicht mitgebracht, denn die Trompeterin stößt am Schluss erneut ihre Fanfaren in die Luft. Alles könnte wieder von vorne losgehen. Das war ein Eröffnungsstück für das diesjährige Tanz-im-August- Festival, das viele Fragen aufwirft und eigentlich keine beantwortet.