Wo ist nur mein Mitgefühl geblieben
Wo ist nur mein Mitgefühl geblieben?
Sind Sie für mehr oder weniger Empathie?
Ein sommerliches Grillen mit Bier, Gurkensalat und Spießbraten ist angesagt. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Die Campingstühle plus Grillutensilien eingepackt. Lisa und Julian haben es sich gemütlich gemacht. Denn ein großes, weit reichendes, wohlmöglich anstrengendes Thema steht an: Über Empathie wollen sie sprechen.
Sofort geht es konkret zur Sache: Darf das Schwein ohne Bedenken auf den Spieß gesteckt werden? Verlangt es nicht auch nach unserem Mitgefühl? Lisa beruhigt: Die Welt wäre nicht als Kreislauf des Werdens und Vergehens angelegt worden, wenn der Mensch dabei verhungern sollte.
Von dieser ganz pragmatischen, lebenspraktischen Frage bis hin zu politischen, gesellschaftlichen, moralischen, psychologischen, ethischen, religiösen und philosophischen Aspekten versuchen die beiden Performer Lisa und Julian in nun Folgenden auf ihrem kleinen Bühnenpodest in der Friedrichshainer Bar Sanatorium ihre Position zur Empathie-Frage zu klären.
Könnte totales Einfühlungsvermögen zum Überwachungsterror durch die Umgebung werden? Oder führt ein höherer Empathie-Level automatisch zum ersehnten Weltfrieden? Verhindert der Kapitalismus die Entwicklung von Mitgefühl? Ist eine Gesellschaft ganz ohne Gier denkbar? Kann Empathie das Verschwinden von nationalen Grenzen zur Folge haben? Oder bedeutet das Einfühlen in alle anderen Lebewesen nicht Lähmung von jeglicher gesellschaftlicher Entwicklung?
Die zwangslosen Gespräche am Grill werden unterbrochen von passenden Gesangseinlagen, eingeblendeten Filmszenen, kleinen Choreographien und Kampfszenen mit zwei schussbereiten Regenschirmen. In einer nachgestellten, amerikanischen Talkshow diskutieren Lisa und Julian die Möglichkeiten einer Empathiesteigerung durch flächen deckende Medikation der Bevölkerung. Außerdem trägt Julian eine Rede des Dalai Lama (auf englisch) vor, der an die Empathiefähigkeit seiner Mitmenschen appelliert, um eine friedlichere harmonischere Welt möglich zu machen. Wie Lisa dieses mit Hilfe von Salz- und Pfefferstreuer zuerst auf deutsch und dann in Gebärdensprache simultan übersetzt, ist dabei ein witziges Details, das typisch ist für die Gtrundstimmung der Performance.
Peggy Mädler und Julia Schleipfer vom Labor für kontrafaktisches Denken haben es in ihrer anregenden und vielschichtigen Performance durch eine abwechselungsreiche Regie verstanden, dass bei all der Gedankenvielfalt der Unterhaltungswert hoch war. Lisa Lucassen und Julian Mehne sorgten auf der Bühne mit ihrer sympathischen und engagierten Präsenz für den nötigen Drive.
A better world for you and for me, das wünschen sich die Beiden augenzwinkernd mit Michael Jackson zum Schluss.
Hingehen, zuhören, schmunzeln und ins Nachdenken geraten!
Birgit Schmalmack vom 9.8.09
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