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Väter

Väter

In einer Zeit der verschwundenen Väter dem besonderen Verhältnis von Vater und Sohn nachzuspüren, ist das Ziel von Alvis Hermanis mit seinem Stück „Väter“. Drei Söhne aus drei verschiedenen Ländern erinnern sich an ihre Väter: Oliver Stokowski, deutscher Schauspieler, Juris Baratinskis, russischer Künstler und Gundars Abolins, lettischer Schauspieler. Umgeben von zahlreichen Requisiten der Vergangenheit nehmen sie die Zuschauer mit auf eine Reise in ihre Kindheit. Die Stelltafeln hinter ihnen werden von den Bühnenarbeitern immer wieder ausgetauscht. Auf ihnen sind Stationen aus dem Leben der Vater und Söhne zu sehen.
So sieht man Juris als kleinen Jungen beim Baden mit seinem Vater, Mutter und Schwester, Olivers Vater in seiner Amtsstube als Oberkommissar und Gundars Vater, der ebenfalls Schauspieler ist, in der Perücke von Albert Einstein.
Oliver erzählt von der Auseinandersetzung mit seinem Vater, als der erfährt, dass ausgerechnet sein Sohn den Wehrdienst verweigern will. Juris erinnert sich daran, wie sein Vater ihn zur Abhärtung als Zweijährigen in den zugefrorenen Fluss kopfüber eintauchte. Gundars beschreibt die Kleidungsvorlieben seines Vaters: Er trug nur Sachen, die sein Bruder ihn aus dem Ausland schickte und die ihm immer ein wenig zu klein waren.
Die drei erinnern sich auch an die Gerüche ihrer Väter: der eine roch nach Schokolade, der andere nach Kaffee und Herzmedizin und der dritte nach Bier, den er als Haarfestiger benutzte. Man erfährt von Schwierigkeiten zwischen den beiden Generationen. Olivers Langhaarigkeit und Vorliebe für abgewetzte Kleidung stand im direkten Kontrast zur spießigen Korrektheit seines Vaters. Gundars Vater, war mit den Leistungen seines Sohnes auf der Bühne zeit seines Lebens unzufrieden.
Die dreistündige Reise in die Vergangenheit lässt Zeitgeschichte lebendig werden. An Hand der Biographie Olivers wird zum Beispiel ein Stück deutscher Geschichte nachfühlbar. Ausgerechnet sein Vater leitete den Einsatz zur Auflösung der Demonstrationen in Gorleben und Wackersdorf, während Oliver es viel cooler fand, auf der Seite der Auflehnung gegen jede Form der Obrigkeit zu stehen. Die Art seiner Vaters jede Diskussion autoritär zu unterbinden, stachelte den aufmüpfigen Oliver nur an. Juris Vater steht für eine Phase russischer Geschichte: Er saß 14 Jahre in einem sowjetischen Lager ein, von dem zu der damaligen Zeit niemand wissen durfte.
Mit liebevollen und kritischen Augen und mit gebührender Vorsicht werden die eigenen Wurzeln enttarnt. Und zur Überraschung mehr Übereinstimungen entdeckt, als manchem lieb ist. So muss Oliver mit Erschrecken feststellen, dass ihm der Hang zum Imponiergehabe seines Vaters nicht ganz fremd ist. Als er mit einer Freundin im Urlaub war, kletterte er auf die höchste Sandsteinklippe, um mit einem Sprung Eindruck zu schinden. Was ebenso kläglich misslang wie einst seinem Vater, der bei einem Badeurlaub einen 5 Kilometer breiten Fluss durchschwimmen wollte und nur mit Mühe der Todesgefahr entkam.
Zum Schluss sind alle drei gealtert. Im Laufe des Abends haben sie sich mit Unterstützung der drei Maskenbildner auf der Bühne in ihre Väter verwandelt. Als auf dem letzten nachgemalten Foto auch der Sohn Olivers zu sehen ist, schließt sich der Kreis: Aus den Söhnen sind Väter geworden. Ein poetischer, warmer, humorvoller und spannender Abend von Alvis Hermanis.
Birgit Schmalmack vom 29.5.08

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