Ritter
Ritter, Dene, Voss
Die Worringer-Hölle
Wenn ein Theaterstück nach den Schauspielern der Originalfassung benannt ist, ist ihm ein Stempel aufgedrückt, der prägend bleibt. So ist es auch bei Thomas Bernhards Geschwisteranalyse „Ritter, Dene, Voss“. Gerd Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter haben die Geschwister Worringer unter der Regie von Claus Peymann bei den Salzburger Festspielen am 18. August 1986 gegeben – als die Wunschbesetzung Bernhards. Tunlichst wurden Neuinszenierungen bisher vermieden. Am Deutschen Theater wagte sich Oliver Reese in der letzten Spielzeit daran.
Jede Ähnlichkeit mit dem Original hat er sorgsam umgangen. Statt des detailreich dekorierten großbürgerlichen Salons agieren die drei Schauspieler auf einem weißen Podest an einem kargen weißen Esstisch mit fünf Stühlen. Fast statisch sitzen sie auf ihrem Platz und reden aneinander vorbei. So als hätten sie schon die Hoffnung auf wahrhaftige Kommunikation aufgegeben, gleichen ihre Wortbeiträge eher ins Publikum gesprochenen Monologen.
Der erste der drei Akte, die sich um das gemeinsame Mahl an dem Esstisch ranken, zeigt die beiden Schwestern alleine. Sie sind kraft der 51%-tigen Anteile ihres Vaters am Theater der Josephstadt freiwillige Gelegenheitsschauspielerinnen. Ansonsten langweilen sie sich. Die jüngere Schwester vertreibt sich die Zeit mit ausgiebiger Schönheitspflege und Bücherlesen im Bett, die ältere kümmert sich um den Haushalt und um das Werk ihres Bruders. Um diesen zunächst noch abwesenden, in der Psychiatrie „Steinhof“ weilenden Philosophen, kreisen all ihre Gedanken. Als der Bruder endlich eintrifft, wird das ganze Ausmaß der „Worringer-Hölle zu dritt“ klar. Ausbrechen ist unmöglich, zu stark sind die Ketten der Hassliebe, die alle aneinander ketten. Verletzungen, Erwartungen, Opfer, Langeweile, Gewohnheit sind starke Bänder.
Beide Frauen verharren in einer typisch weiblichen Haltung. Sie warten ab, wenn auch mit unterschiedlichem, gegenseitig argwöhnisch begutachtetem Blick. Die Ältere ordnet sich unter hingebungsvoller Selbstaufgabe dem intellektuellen Bruder unter. Sie opfert ihre Lebenszeit seinem vermeintlich großen Logik-Werk, das sie verständnislos abtippt. Die Jüngere sieht dem Treiben der Schwester mit spöttischem Lächeln zu und wartet die Momente ab, in denen sie sich zusammen mit dem Bruder über die Dritte lustig machen kann. Beide umgarnen den Bruder auf ihre Weise: Die Jüngere spielt mit ihrer sexuellen Anziehungskraft auf laszive Art, die Ältere setzt auf mütterliche Bindungen.
Oliver Reese analysiert die fatalen Geschwisterbindungen mit kühlem Blick. Die Gefühlsausbrüche, die die Stimmung bei der Erstinszenierung bis zum Zerreißen anspannten, sucht man bei ihm vergeblich. Hier geht es Wortakrobatik, zu der Bernhard bekanntermaßen bis zum Überdruss in der Lage ist. Es geht um Kommunikation, die wirkungslos bleibt, die ins Leere läuft. Dass mag zwar nicht so erregend sein, wie die Emotionen von Ilse Ritter, Gert Voss und Kirsten Dene, ist aber in sich schlüssig. Geschliffenes Selbstdarstellungstheater, das den Heiterkeitspegel beim Publikum im St. Pauli Theater zuweilen kräftig nach oben schob. Es mag aber sein, dass die Freude über den geistreichen Theaterabend bei denen größer war, die unbelastet durch die Altinszenierung in die Vorstellung gekommen waren. Doch auch „Matthes, Zilcher, Becker“ ist sehenswert, wenn man sich auf einen neuen Blick einlassen möchte.
Birgit Schmalmack vom 1.11.09
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