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Pension Schmidt

Pension Schmidt
Traum in Orange
Man hört deutlich das Ticken. „Das ist meine biologische Uhr“, erklärt Britta Brandeisen, die 42-jährige Chefin der Pension Schmidt. Obwohl das Etablissement mitten auf der Reeperbahn gelegen ist, herrscht bei seiner fröhlichen Seele Flaute im Bett. Um sie herum vertreiben sich die Herren in den Zimmern mit allerlei perversen Aktionen die Zeit, doch Britta geht wieder einmal leer aus. Wo bleibt die alles verschlingende Urgewalt, die der Titel der 370. Folge „Britta, Sturmflut der Liebe“ versprochen hatte?
Denn Liebe ist auch für die übrigen Pensionsgäste eher Mangelware. Schneller Sex, wenn Maria (Corny Littmann) und Walter Heiss aus Hanau (Uli Pleßmann) genügend gekifft worden haben, Schläge mit der Peitsche im Nagelstudio von Gerda (Corny Littmann), viele Mackersprüche des allzeit bereiten Streifenpolizisten Hotte Koltz (Frank Wieczorek), Selbstbefriedigung im Whirlpool – das ist eher die Angebotspalette. Bis Britta erfährt, dass sie sich eigentlich schon lange vor ihrer „Mamile“ nicht mehr zu rechtfertigen braucht, dass sie sie immer noch nicht zur Großmutter gemacht hat, braucht es noch gute zweieinhalb Stunden der alltäglichen Überraschungen auf der Reeperbahn. Doch kommt der Knall: Sie war ein frühreifes Kind und hat das Ganze schon im zarten Jugendalter abgehandelt, allerdings im Vollrausch.
Diese Verwicklungen, Enthüllungen und Katastrophen sind das, wofür die Seifenopern im Allgemeinen und die im Schmidt Theater im Besonderen so geliebt werden. Denn hier haben es die Macher gewagt, die Bedürfnisse der Zuschauer ganz konsequent zu Ende zu denken. So ist der Handlungsverlauf noch um einiges überdrehter, böser und so abgefahren, dass sich jede Frage nach dem Realitätsbezug erübrigt.
Bekanntlich war in der letzten Folge die alte Pension Schmidt abgebrannt. So musste Britta sie mit all ihrem Ersparten wieder aufbauen. Nun erstrahlt sie ganz nach ihrem Geschmack, das heißt komplett in Orange mit Blümchentapete. Doch wie das so ist mit nagelneuen Stücken, denen noch die Kratzer und Spuren des Lebens fehlen, sie wirken etwas leblos. Allzu clean wirkte die neue Umgebung für die 18 abgehalfterten Gestalten, die die sechs Darsteller im rasanten Wechsel auf die Bühne bringen. So braucht auch die funkelnagelneue Pension in dieser Folge etwas mehr Zeit, um die ersten Spuren zu hinterlassen. Einzig Corny Littmann als olle Schabracke Gerda nagelt In der ersten Halbzeit schon ganz kräftig, in der ansonsten die Gags eher sauber Pointe für Pointe abgearbeitet werden. Erst nach der Pause gewinnt das Team wieder zu seinem altbekannten Tempo, Biss und bösartigen Witz zurück und haben um 23 Uhr die neue Pension Schmidt auf ihre kiezige Art eingeweiht.
Birgit Schmalmack vom 18.8.06

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