Peer Gynt
Peer Gynt
Träume von Pappe
Einen riesigen Vorrat an Träumen hat Peer Gynt. Dass sie eher von Pappe sind, davon zeugt der Kubus aus lauter Speditionskartons auf der Bühne. Als chronischer Lügner erspinnt er sich die Welt gern nach seinen Wünschen. Als Kaiser sieht der besitzlose junge Mann sich schon, dabei findet er nicht einmal in seinem Dorfe Menschen, die ihn anerkennen. Nachdem er die Braut eines anderen entführt hat, muss er fliehen. Seine Suche nach Selbstverwirklichung wird ihn dabei bis an das Ende der Welt führen und zuletzt wieder dorthin, wo sie begann. Denn er sucht überall nur sich selbst. Seine eigene Identität ist das Objekt der Begierde, das ihn umtreibt. Seine Individualität will er entdecken. Wie eine Zwiebel häutet er sich mit jeder Erfahrung Schicht um Schicht. Mit jedem Reiseschritt brechen auch weitere Schichten des auf der Bühne stehenden Pappkartonhauses heraus. Immer mehr gibt es von seinem Inneren preis. Doch wie Peers Seelenzwiebel ist es leer.
Zum Glück für Peer hat eine einzige jedoch geduldig ausgeharrt, bis auch dieser Egomane endlich versteht, wie er seinem Selbst näher kommen könnte: Die brave, aus pietistischen Elternhaus stammende Solveig hatte ihm schon vor Antritt seiner Reise Treue geschworen. Sie wird es sein, die ihn zu ihrem Ende vor der absoluten Leere und damit vor dem Tod rettet. Sie tritt aus dem Innern des Pappkubus heraus und macht ihm durch ihr Erscheinen klar, dass das reine Selbst eine nutzlose Erfindung ist. Die wahre Erfüllung liegt in der Beziehung des Menschen zu seinem Gegenüber.
So romantisch endet das aktionsgeladene Roadtheatre von Jan Bosse im Thalia Theater, das in einer Koproduktion mit dem Maxim Gorki Theater entstand. Die erste Hälfte des fast vierstündigen Abends weiß zu faszinieren. Immer neue Orte werden auf die rudimentären Pappwände projiziert. Doch in der zunehmenden und absehbaren Vergeblichkeit von Peers Suche mischt sich der Wunsch nach dem erkenntnisreicheren Ende der Reise.
Ein hervorragend besetztes Ensemble unter anderen mit Hans Löw und einem sich verausgabenden Jens Harzer in der Titelrolle machen den Abend trotz einiger Längen in der zweiten Hälfte zu einem der spannenden Theaterabende im Thalia unter der neuen Intendanz von Joachim Lux.
Birgit Schmalmack vom 27.10.09
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