Paradise now
Paradise now
Im Wartesaal für die eigene Beerdigung
Said (Renato Schuch) und Khaled (Johannes Nehlsen) empfinden ihr Leben als einen Wartesaal für die eigene Beerdigung. Sie leben in einem besetzten Land. Militärisch hat ihr Staat keine Chance auf Beendigung dieses Zustandes. Nur der Widerstand im Untergrund bleibt den Männern, um ihre Chancen auf ein besseres Leben für ihre Familie und ihr Land zu erhöhen. Said und Khaled scheinen dafür als einzig wirksame Kampfmittel Selbstmordattentate geeignet zu sein. Als ihr Lehrer Jamal (Hermann Book) fragt, ob sie selbst dafür in den Tod gehen würden, stimmen sie sofort zu.
Sie haben unterschiedliche Gründe: Saids Vater war ein Kollaborateur und wurde dafür erschossen. Seitdem lastet diese Schande auf der ganzen Familie. Said sieht in seinem Opfer auch eine Chance auf ihre Tilgung. Für Khaled spielen andere Motive eine Rolle: Er ist arbeits- und perspektivlos und wünscht sich dennoch eine bedeutende Rolle spielen zu dürfen. Als Märtyrer wäre er dieser Position sicher. Seine letzte Botschaft würde als Video verkauft und sein letztes Bild als Plakat überall in der Stadt aufgehängt werden.
Doch genau zu dem Zeitpunkt, als der Auftrag konkret wird, hat Said die schöne Suha (Laura de Wieck) kennen gelernt, die ihr Interesse an Said offenkundig werden lässt. Die junge Menschenrechtsaktivistin hat im Ausland studiert und ist nun in ihr Land zurückgekommen, um zu helfen. Doch sie findet ganz andere Wege Erfolg versprechend als Said. Sie will an politisch klugen Aktionen mitwirken statt unschuldige Menschen mit in den Tod zu reißen. Für Said waren die Fronten bisher ganz klar abgesteckt. Die Diskussionen und die zarte Annäherung zwischen den Beiden rütteln an seinem fest gefügten Weltbild.
Die Statisten liefert der Spielort in der Hamburger Botschaft zum Teil kostenlos mit: Zwei bärtige Männer mit Kappe und langen weißen Gewändern bleiben vor den großen Schaufensterscheiben der Hamburger Botschaft verdutzt stehen und blicken neugierig in den hell erleuchteten Bühnen- und Zuschauerraum hinein. Ein Beerdigungswagen hat direkt vor den Scheiben geparkt. Gerade sind Said und Khaled mit ihrem Sprengstoff- (Mikroport-) Gürtel durch die Glastüren auf die Straße gegangen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Doch die Aktion scheitert: Sirenen geben bekannt, dass ihr Vorhaben enttarnt worden ist.
Megaphone und Scheinwerfer bestimmen das Bühnenbild: Die Überwachung und Beeinflussung des Leben von außen ist allgegenwärtig.
Regisseur Konradin Kunze benutzt den Filmstoff „Paradise Now“ von Hany Abu-Assad und Bero Beyer, um den Motiven und Prägungen der beiden Attentäter nachzuspüren. Durch die Auseinandersetzung mit der westlich geprägten Suha wird die Brücke zu den Gedankengängen der Zuschauer geschlagen. Das intensive Spiel der vier Darsteller, der Spielort einer Szenelocation mitten in der Stadt und der direkte Blick auf das Alltagsleben der Straße machen den Abend zu einem eindrucksvollen Erlebnis, das sicher keine einfachen Erklärungen aber doch Gedankenanregungen zum Verständnis der Attentäter anbieten kann.
Birgit Schmalmack vom 27.6.08
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