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Krankheit der Jugend

Krankheit der Jugend
Merkwürdig alt ist diese Jugend, illusionslos und zynisch. Dabei hätte sie eigentlich keinen Grund dazu. Marie und ihren Freunden steht die Zukunft offen. Sie hat ihr Medizinstudium mit einer Promotion abgeschlossen und scheint ihrem Ziel greifbar nahe zu sein. Doch als ihre Studienkollegin mit ihrem Freund Petrell anbändelt, lässt sie alle Zügel los. Auch in der Beziehung mit der lesbischen Intellektuellen Desiree findet sie keinen Halt. Stattdessen gerät sie immer mehr unter den Einfluss des kühlkalkulierenden Freder, der es liebt, Experimente mit Menschen anzustellen. Aus einer Welt der Gewissheiten stürzen Marie und ihre Freunde in die Abgründe der Existenz, während sich Petrell als der eigentliche Auslöser des Unglücks mit Irene in spießig-bürgerliche Sicherheiten rettet.

Ferdinand Bruckner hat in seinem 1926 uraufgeführten Stück die Situation einer Zwischenkriegsjugend im Moment des Werteverfalls beschrieben und damit einen Text von überraschender Aktualität verfasst.



Fütter dein Ego
Die Zeit der Jugend gilt als eine des Aufbruchs, der hochfliegenden Ziele, Träume, Energiegeladenheit und Lebensfreude. Weit gefehlt im Kreise der Medizinstudenten um Desiree, Irene und Marie. Alles zwar helle Köpfe, denen als erfolgreiche Studentinnen die Welt der Karriere offen zu stehen scheint, die aber bar jeder Illusion sind, was sie von der Welt zu erwarten haben. „Mit siebzehn sollte man sich erschießen“, ist Desiree überzeugt. Nach der geborgenen Phase der Kindheit habe der Mensch keine Freude mehr im Leben zu erwarten. Marie mag ihr darin erst zustimmen, nachdem ihr Künstler-Freund Petrell sie mit ihrer Studienfreundin Irene betrügt und verlässt. Alt hat ohnehin schon vorher jedes Ideal verloren. Er der als Arzt den Menschen helfen wollte, ist im Knast gelandet, nachdem er einen Patienten von seinem Leiden erlöst hat. Freder ist ohne eigene berufliche Ambitionen: Er empfindet mehr Vergnügen daran, die Menschen um ihn herum zu manipulieren.
Ohne Ziel und Moral werden die Beziehungen zwischen den Menschen hohl. Sie dienen ausschließlich dazu das eigene Ego zu füttern. Sie werden zum Instrument der Macht, dienen zur Bestätigung der eigenen Manipulationsgeschick, der eigenen Attraktivität und dem eigenen Lustgewinn. Uninteressant werden die Menschen sofort, wenn sie diese Funktion erfüllt haben.
Marja Biel zeigt in ihrer Diplominszenierung auf Kampnagel im Rahmen der Weibsstücke schonungslos, wie Ferdinand Bruckners Analyse der Jugend in den Zwanzigern auf das 21. Jahrhundert zu übertragen ist. Sie stellt die Menschen und ihre Probleme in der Mitte der Halle wie auf einem Laufsteg aus. Das hat mitunter den Nachteil, dass der Text, der nur in eine Richtung gesprochen wird, auf der anderen Seite nicht ganz zu verstehen ist. Die Vorteile überwiegen klar: Eine spannende, klug zugespitzte Arbeit, die Biel hier abliefert.
Birgit Schmalmack vom 5.3.07

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