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Invasion
Wie viele bin ich?
Wer bin ich oder vielmehr: wie viele bin ich? Das ist die Frage, die sich die vier Schauspieler in „Invasion!“ stellen. In den Versuchsanordnungen der einzelnen Szenen in Jonas Hassen Khemiris Stück versuchen sie mögliche Antworten zu finden.
Alle Szenen drehen sich um einen Namen: „Abulkasem“. Er setzt Fantasien frei. Nicht nur bei der Schulklasse, die laut pöbelnd das Theaterstück um den arabischen Helden störte und bei denen später das Wort „abulkasem“ zum In-Wort des Jahres wurde. Es konnte bei ihnen alles bedeuten: von megageil bis super öde. Für den libanesischen Jugendlichen wird „Abulkasem“ zum klingenden Namen, der selbst das puschige Mädchen im Club Nordlicht zum Lächeln bringt. Für den Asylbewerber wird er zum Verfolger, da er ständig von einem unbekannten Abulkasem auf seinem Handy angerufen wird. Für den westlichen Geheimdienst wird Abulkasem zum meist gesuchten Terroristen und für die Araber zum Überläufer.
Doch wer ist dieser Abulkasem wirklich? Eine Antwort versuchen die vier Schauspieler im „Wahrheitsblock“ zu finden. Doch die Faktenlage verschwimmt nicht nur für den Moderator. Denn dieser Abulkasem scheint sich alleine dadurch auszuzeichnen, dass er nicht greifbar ist.
Das „puschige“ Mädchen aus dem Nordlicht macht ihre speziellen Schwierigkeiten bei der Identitätsfindung deutlich: Ihre deutschen Mitstudenten sind voll des unhinterfragtem Mitleid für die Tochter eines kurdischen Vaters. Ihr Leben müsste sich wohl, so glauben sie, wie eine vereiste Hängebrücke zwischen den verschiedenen Kulturen anfühlen. Wenn die wüssten! Ihr Problem besteht im Moment eher daraus, dass sie vor lauter Prüfungsstress schon zum dritten Mal in einer Woche ihren Haustürschlüssel vergessen hat.
Um Klischees geht es auch bei der Anhörung des Asylanten. Die bestellte Dolmetscherin findet dessen Lebensgeschichte zu unspektakulär. Daher macht sie aus seiner Begeisterung für eine schwedische Popgruppe namens ABBA kurzerhand eine für den Propheten Mohammed. Aus dem Popmusikfan wird ein fanatischer Islamist.
Regisseur Antu Romero Nunes hat einen einfach richtigen Zugang zu dem Episodenstück von Khemiri gefunden. Mit nur vier Schauspielern (Mirco Kreibich , Thomas Niehaus, Catherine Seifert, Rafael Stachowiak) in schwarzer Kleidung und unverstellter Bühne in der Garage des Thalias in der Gaußstraße lässt er mit dem Text so spielen, dass bei aller Improvisations- und Spielfreude die Kernfrage nie aus dem Blick gerät. Er schafft es mit den wunderbar präsenten jungen Darstellern eine Konzentration zu erzeugen, die die Identitätsfrage zur zentralen und dennoch am Schluss überflüssigen werden lässt. Weil es in einer globalisierten Welt die eine Identität nicht mehr geben kann. Sie wird ohnehin sich immer aus vielen Einflüssen speisen und einer nie endenden Weiterentwicklung unterlegen sein.
Birgit Schmalmack vom 9.12.09
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