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Eines langen Tages Reise in die Nacht-St.Pauli

Eines langen Tages Reise in die Nacht
Gefangen in der Vergangenheit
Es war ein harter Tag, versucht sich der Vater (Gerd Böckmann) zu trösten - mit einem weiteren Bourbon. Er steht vor einem Scherbenhaufen seines Lebens: Sein Sohn Jamie (Ben Becker) hat leider nie das rechte Maß beherrschen gelernt: Sein Leben besteht aus einer regelmäßigen Abfolge von Alkoholabstürzen. Nur im Rausch sei dieses Leben zu ertragen, denkt auch der an Tuberkulose erkrankte Sohn Edmond (David Bennett). In den hat sich die Mutter (Angela Schmid) ebenfalls geflüchtet, mit Hilfe einiger Dosen Morphium.
Dieser lange Tag hat ihnen allen die letzten Illusionen genommen und den ruinösen Zustand ihrer Familie vor Augen geführt. Die Mutter wird nie ohne das Morphium leben können, Jamie nie sein Leben in den Griff bekommen, Edmond nicht wieder gesund werden und der Familienvater nie voll Stolz auf sein Leben zurückblicken können.
Ihr Beziehungsgeflecht ist geprägt von Liebe und Hass, von Sehnsüchten und Abhängigkeiten, von Hoffnungen und Enttäuschungen, von Vorwürfen und Entschuldigungen. Sie sind aneinander gekettet. Sie wissen, dass sie selbst die Entscheidungen für ihr Leben getroffen haben und nutzen doch jede Gelegenheit, wenn sie ihrem Gegenüber die Schuld dafür geben können.
Ulrich Waller hat wunderbare Darsteller für seine werktreue Inszenierung gefunden. Sorgfältig analysieren sie spielend jede Nuance ihrer Familienverflechtungen des autobiographisch gefärbten Stückes von Eugene O`Neill. Ein paar Versatzstücke einer bürgerlichen Möblierung stehen verloren auf der Bühne vor angedeuteter, durchscheinender Villenkulisse. Ohne jede Aktualisierung belässt Waller das Stück in seiner Zeit. Ben Becker gibt sehr glaubwürdig den sensiblen Säufer, David Bennett ist ein überzeugend leidender Möchtegern-Dichter, Angela Schmid entlockt ihrer Rolle neben Wahnvorstellungen und Weinerlichkeiten auch klarsichtige Lebensbilanzen und scharfzüngige Manipulationen, Gerd Böckmann ist der zu Geiz neigende und dennoch liebevolle Patriarch voller unerfüllter Sehnsüchte.
Die Vergangenheit ist die Gegenwart und auch die Zukunft. Diese bittere Erkenntnis ist das Resümee der Mutter.

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