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Babel-words

Babel (Words)
Für jeden etwas
Die Tänzer knien auf dem Boden. Jeder stößt in seiner Sprache das Wort für Erde aus. Mit einem aggressiven, schnellen Schlag der Handkante markieren sie ihren Anspruch auf ihr Territorium. Schnell schieben sie die unterschiedlich großen, metallenen Kantenmodelle nach vorne und materialisieren damit ihren Besitz (Bühne: Antony Gormley). Mit Kung-Fu-Schlägen und –Tritten in die Luft verteidigen sie ihren eigenen Raum. Die Häusermodelle symbolisieren Grenzen zwischen Menschen, Völkern, Religionen, Ländern und Sprachen. Die Abgrenzung steht auch für Schutz, Sicherheit und Geborgenheit, in die sich die Menschen zurück ziehen.
Eine gekünstelte Roboterfrau erklärt, dass am Anfang nicht das Wort sondern die Geste stand. Rudimentäre Überbleibsel wären heute in unserem Umgang miteinander noch zu erkennen. Sie zeigt uns eine mögliche Zukunft: Durch Programmierung der Menschen entstehe eine technisierte Welt, die auf gegenseitiger Manipulation und vorhersehbarer Funktionstüchtigkeit basieren würde.
Von menschlicher Vielfalt wäre man dann weit entfernt. Gleichschaltung aller ist das Ziel.
Der Amerikaner der Truppe erläutert das anhand der umwerfenden Vorzüge der neuen Baukastenarchitektur, die überall auf der Welt überzeugen müsste. Auch die „Weltsprache“ mache dies schon deutlich: Englisch würde schließlich fast überall gesprochen. Dem müssen die Compagniemitglieder aufs heftigste widersprechen. Ein Stimmengewirr aus dreizehn Sprachen erhebt sich.
Auch die Religion kann nur zeitweise für Beruhigung sorgen. Eingezwängt in einen der Quader stehen alle eng beisammen, während die beiden Sängerinnen Madrigale singen. Dann brechen sie auseinander. In comichaften Standbildern zeigen Szenen des Streites, des Hasses und des Krieges. Der Amerikaner schafft es sie in einer erneuten Aufwallung medialen Gemeinsamkeiten wieder alle hinter sich zu vereinigen. Wie ein riesiger Vogel schwingen sie sich gemeinsam zu einem Eroberungszug auf.
In einer wohl koordinierten Kraftanstrengung aller schieben die Menschen die Kantenmodelle ineinander, so dass ein großer Turm entsteht. Einer der Tänzer versucht innerhalb der Quader zu tanzen. Doch zum Schluss ist sein Bewegungsspielraum so beschränkt, dass er nur noch auf einer Stelle stehen kann.
Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet sparen in ihrer Choreografie „Babel“ nicht mit deutlichen Bildern. Die Vielfalt der Ensemblemitglieder nutzen sie um die Vielfalt und ihre Konflikte der Kulturen zu zeigen, sich aber auch auf die Suche nach Gemeinsamkeiten zu begeben. Sie finden sie zum Schluss in gemeinsamen spirituellen Erlebnissen. Szenen, die an Derwischtänze oder buddhistische Zeremonien erinnern, markieren den Schlusspunkt, bevor sie sich alle still in ihre in einem Halbrund angeordneten Häuser zurück ziehen. Ein beeindruckender Tanzabend, der für jeden der zahlreichen Hamburger Zuschauer in der ausverkauften K6 etwas bot: leicht verständliche Bilder, klamaukige Spaßeinlagen, künstlerischen Anspruch, zeitkritische Botschaften und schöne Tanzszenen.
Birgit Schmalmack vom 17.2.11

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