Antigone
Antigone
Verunsicherung beherrscht die Stimmung unter den Bürger Thebens. Nach dem Tod ihres Herrschers Oedipus war ein Machtstreit zwischen seinen Söhnen um die Nachfolge ausgebrochen, der die Stadt im Krieg gefangen hielt. Beide Söhne wurden im Machtkampf getötet und so wurde der nächste Verwandte, Kreon, der neue Herrscher der Stadt. Die Bürger wollen nun ihren gerade wieder gewonnenen Frieden auf keinen Fall gefährden. Diplomatie und Vorsicht im Umgang mit dem neuen Mann an der Spitze ist also das oberste Gebot.
Die beiden Stellwände in der Mitte der Bühne, auf denen eine Mischung von Höhlenmalereien und Graffitis zu den Themen Herrschaft und Krieg zu sehen ist, spalten die Bürger Thebens. Die Sicht auf das Ganze ist ihnen verstellt, wenn sie sich auf einer der Seiten befinden. Immer wieder wechseln sie ihren Platz und ihren Standpunkt. Hin und wieder setzen sie sich auf Theatersessel. Wie Zuschauer in ihrem eigenen Leben beobachten sie das Tun ihres Herrschers Kreon. Nur wenn es Kreon beleiben sollte, sie um Rat zu fragen, dürften sie eine ihm genehme Meinung äußern. Denn Kreon duldet keinen Widerspruch. So rückt er auch keinen Zentimeter von seiner getroffenen Entscheidung ab: Nur einer der beiden Söhne darf in allen Ehren begraben werden. Der andere wird den Hunden und Geiern zum Fraß vorgeworfen.
Das kann dessen Schwester Antigone nicht hinnehmen. Sie bezieht als einzige klar Stellung und widersetzt sich dem königlichen Verbot und begräbt ihren Bruder. Sie wird gefasst und zum Tode verurteilt. Auch als Kreons Sohn seinen Vater um Gnade für seine Verlobte Antigone bittet, bleibt dieser hart. Erst der blinde Seher Theresias bringt Kreon zum Nachdenken. Doch da ist es schon zu spät.
Die Kostüme machen die Allgegenwärtigkeit des Militärischen in den Köpfen der Menschen deutlich. Sie erinnern mit ihrem schlichten beigen Stoff und Schnitt an Militäruniformen. Die Bürger Thebens, die gleichzeitig als Chor fungieren, umrunden die beiden Stellwände, während sie kultischen Handlungen nachgehen. Die eine zerhackt mit einem Beil Papierstapel, der andere entblättert einen Kohlkopf, die nächste bearbeitet rohes Fleisch, der nächste rollt ein Ei in seiner Hand. Eine gemeinschaftliches Ritual einigt sie: Bei jedem Hereinkommen bestäuben sie sich mit Staub aus einer großen Schlüssel.
Zum Schluss werden die beiden Stellwände zu einem blutroten, sich verjüngenden Gang, den Antigone, ihr Verlobter und schließlich Kreons Frau beschreiten. Auch Kreon findet sich zum Ende in ihm wieder: Seine eigensinnigen, herrschsüchtigen Entscheidungen haben ihn zum Mörder seiner Familie gemacht.
Die provozierende Arbeit des Bühnenbildners Peter Schubert spaltete nicht nur die Bürger sondern auch das Publikum. Manchen raubte sie zuviel ihrer Aufmerksamkeit, doch andere fühlten sich angeregt. Eines ist sicher: Albert Langs im Ernst Deutsch Theater gezeigte Inszenierung der Antigone in einer Neu-Fassung von Walser lässt nicht ungerührt, wie das im Anschluss an die Vorstellung stattfindende Publikumsgespräch bewies. Seine enge Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Schubert regte nicht nur auf sondern auch an, sich mit der immer aktuellen Frage der Verantwortung für das eigene Handeln wieder neu zu beschäftigen.
Birgit Schmalmack vom 26.8.08
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