Schmeiß dein Ego weg!
Durchbrechen der vierten Wand
Die bei Brecht nur gedachte vierte Wand hat sich in der Volksbühne materialisiert. Die Wandverkleidung des Zuschauerraumes hat sich bis auf die Bühne verlängert und umgibt ihn nun von allen Seiten. Zuerst sind die Schauspieler nur als Projektion zu sehen. Dann bricht eine Verkleidung heraus und Martin Wuttke tritt als erster heraus. In einer antiquierten Uniform mit Goldpailletten debattiert er mit den projizierten Kolleginnen Christine Groß und Magrit Carstensen über die Funktionen dieser vierten Wand. Sie trete zwischen Schauspieler und Publikum und lasse alles zu einer reinen Projektion werden.
Rene Pollesch durchbricht diese Wand in „Schmeiß dein Egon weg!“ auf seine redeschwallartige Art und Weise. Martin Wuttke macht diese mäandernden Satzschleifen zu einem Erlebnis. Er agiert die Sätze mit seinem ganzen Körper aus. Er tanzt, zappelt, zwirbelt, drechselt, spuckt und zelebriert die Satzkaskaden. Carstensen ist die fragile Dame, die mit vor Lebenserfahrung, Erregung und Impetus zitternden Stimme ihre Sichtweisen dagegenstellt. Groß ist eine souveräne Gegenspielerin, die mit erprobter Nüchternheit den Pollesch-Sätzen die Stirn bietet.
Die vierte Wand wird zum Sinnbild für die fatale Trennung von Körper und Seele, die Wuttke wiederum für ausgemachten Quatsch hält. In unserem Körper gäbe es nichts mehr, was den Begriff der inneren Werte verdienen würde. Wir seien wie ein Geldschein, auf dem sein Wert außen aufgedruckt ist. Er ist nichts weiter als das Papier, das man anfassen kann. Genau so entstehe auch beim Menschen alles Seelische nur über seinen Körper. Wenn sich Menschen begegnen, dann tun sie das an der Oberfläche. Das seelische Einverständnis, das darin gerne gesehen würde, sei eine bloße Projektion, um dem eigenen Leben etwas Dramatisches zu geben. Womit wir wieder bei der vierten Wand gelandet wären.
Eine Polleschinszenierung wäre nicht komplett, wenn nicht ein Chor auftreten würde. Das ist auch hier wieder der Fall. In ihren weißen Expeditionsanzügen und Stirnlampen wirken sie in dem ganzen historischen Faschingsambiente fast futuristisch. Der präzise arbeitende Chor tritt als die Personifizierung von Miss Peterson auf, in der Wuttke verschwinden kann, mit er verschmelzen kann und mit der seine Körper-Seele-Parodie aufführen kann.
Pollesch hat die erstaunlich Gabe aus ein, zwei Gedanken einen ganzen Theaterabend zu generieren, der ein begeistertes Publikum zufrieden über einen vermeintlich inhaltsschweren und unterhaltsamen Abend nach Hause gehen lässt.
Birgit Schmalmack vom 12.10.11
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