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Verbrennungen

Verbrennungen
Unfassbar Schreckliches hat Nawal (Isabella Vertes Schütter) in ihrem Leben durchlitten. Sie kommt aus einem Kriegsgebiet. Ihr Mann ist tot. Ihr Sohn ist ihr gleich nach der Geburt weggenommen worden. Sie ist 10 Jahre lang in Einzelhaft gehalten und währenddessen immer wieder gefoltert und vergewaltigt worden. Sie flieht ins Ausland mit den Zwillingen, die aus einer dieser Vergewaltigungen entstanden sind. Die Beiden erzieht sie in dem Glauben, einen Widerstandshelden als Vater gehabt zu haben. Aber fünf Jahre vor ihrem Tod verfällt die Mutter in ein Schweigen, für das die Zwillinge keine Erklärung bekommen. Jetzt treffen sie bei ihrer Beerdigung und Testamentseröffnung zusammen und begegnen dem letzten Lebensgefährten ihrer Mutter, dem Notar (Thomas Schendel). Im letzten Willen ihrer Mutter werden die Kinder aufgefordert, dem Schweigen ein Ende zu bereiten. Sie sollen sich aufmachen den Vater und ihren Bruder zu suchen. Die Schwester (Theresa Rose) reagiert darauf anders als ihr Bruder: Jeanne bricht in das Heimatland ihrer Mutter auf, während ihr Bruder Simon (Kostja Ullmann) sich zunächst verweigert.
Jeanne macht erschreckende Entdeckungen, die letztendlich auch Simon ihr folgen lassen. Autor Wajdi Mouawad hat eine Tragödie antiken Ausmaßes geschreiben. Es stellt sich heraus, dass Bruder und Vater ein und dieselbe Person und Jeanne und Simon keineswegs einen Helden sondern einen Vergewaltiger als Vater haben.
Muss ein Mensch sein Wurzeln kennen, um in der Gegenwart leben zu können? Dieser Frage geht der Autor nach. Er weiß wohl, wovon er spricht. Seine Eltern stammen aus dem Libanon, haben den Krieg miterlebt und sind geflohen. Er lebt heute in Kanada. Wie kann man sich der Vergangenheit stellen, ohne in ihr zu versinken? Dennoch berührt diese Geschichte nicht nur diesen Aspekt. Im eigentlichen Fokus stellt die Entwicklung der Mutter. Die Stärke dieser Frau ist beeindruckend. Immer auf der Flucht, immer bedroht von Tod, Gewalt und Elend findet sie die Kraft sich zu bilden und ihre Energie und ihr Wissen an andere weiter zu geben. Auch unter den widrigsten Umständen glaubt sie an die Kraft der Liebe. Ihr Mantra ist immer wieder: Jetzt wo wir zusammen sind, geht es besser.
Der Text von Mouawad ist stark, kraftvoll und poetisch. Die Inszenierung von Albert Lang stellt die Kraft der Worte in den Mittelpunkt. Auf der Bühne greifen Vergangenheit und Gegenwart ineinander. Während die Kinder sich auf die Suche nach der Vergangenheit machen, wird Nawals Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt. Die schlichte All-Place-Bühne mit den einfachen Holzstühlen vor der weißen Videoleinwand wird dabei zum Büro, zum Kriegsgebiet, zum Friedhof, zum Dorfplatz, zur Terrorgedenkstätte...Die Darsteller wechseln die Rollen sichtbar wie die Kostüme. Ein aktueller Abend, der berührt.
Birgit Schmalmack vom 4.6.08

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