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Philotas

Philotas
Moral, Ehre, Ideale
Die sehnige Hand in die Luft gestreckt, das Messer angesetzt, das Blut fließt aufs Hemd. Erst nach dieser Selbstverletzung findet Philotas in den Schlaf. Er hat seine Chance verpasst. Seine ganze Jugend hatte er sich auf diesen Moment vorbereitet und gefreut: Er sollte in seine Bewährungsprobe als Soldat ziehen und nun hat er so schändlich versagt. Er ist nur leicht verletzt von seinen Feinden gefangen genommen worden. Sein Gram über Scham, Schande und Hohn ist unermesslich. Nun wird er seinem Vater, dem König, eine größere Auslösung kosten als viele Kriege ihm eingebracht haben. Wie soll er ihm je wieder unter die Augen treten können?
Regisseur Michael Höppner zeigt Philotas als einen jungen Mann von heute, der Heldenfantasien nachgeht und einem Ideal von Männlichkeit nachträumt. Dem Blick der Menge preis gegeben in einer Arena, die den rundherum sitzenden Zuschauern lückenlosen Einblick in seine Zelle samt der durchsichtigen Dusche erlaubt. Ein Ausweg scheint greifbar: Da der Sohn des feindlichen Königs ebenfalls gefangen genommen wurde, bietet sich ein Austausch der Königssöhne an. Doch aus der Dusche, die ihn reinwaschen sollte von aller Schande auf dem Schlachtfeld, kommt schwarzes Wasser. Seine Scham wird bleiben. Nur ein radikaler Schritt kann ihm noch helfen. Philotas kennt nur den einen: Tod.
Lessings Einakter lebt von der intelligenten Analyse dieser homosozialen Gemeinschaft des Krieges. Er kontrastiert die Eindimensionalität in den Gedankengängen des Jünglings mit der Gebrochenheit der erfahrenen Kriegsherren. Höppner schafft es in dem vielschichtigen Moraldiskurs des Stückes die knisternde Erotik, die hochemotionalen Vater-Sohn-Konflikte, die gebrochenen Ideale und die zeitlose, politische Brisanz sichtbar zu machen. Nach Philotas Selbsttötung bleibt die Hoffnung auf ein Umdenken unter den Kriegsparteien. Ein hochkomplexes Stück, das in der energiegeladener, genauen Umsetzung von Höppner und seinem grandiosen Ensemble (allen voran Simon Kirsch als Philotas) des Wiener Burgtheaters, Lessing einmal mehr als genialen Denker und Schreiber ausweist.
Birgit Schmalmack vom 30.1.11

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