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Minna von Barnhel-SH

Minna von Barnhelm

Spiel um Leben und Tod

„Wir spielen weiter, ich habe noch nicht gewonnen“, befiehlt Minna von Barnhelm (Marie Leuenberger) immer wieder. Minna ist eine Spielernatur. Sie will gewinnen und dafür operiert sie mit allen Tricks. Gewinnen will sie ihren Verlobten Major von Tellheim (Jana Schulz). Doch da dieser nach Ende des dreißigjährigen Krieges seines einen Armes, seiner Güter und seiner Ehre beraubt ist, verbietet er sich auf diese Verbindung einzugehen. Auch er spielt Minna eine Rolle vor, die er nicht mehr ausfüllen kann und daran zu zerbrechen droht. Jana Scholz als Darstellerin dieser Rolle deutet an, dass der ehemals stolze Krieger mit seiner männlichen Rolle in Konflikt gekommen ist.
Regisseurin Karin Henkel spielt ebenso. Sie kennzeichnet das Bühnengeschehen klar als Fiktion. Vier Bühnenvorhänge (Bühne: Stefan Mayer) markieren eine immer weitere Ebene des Spieles. Goldene Rahmen und glitzernde Taftstoffe gaukeln Schönheit vor, die sich dann als mit Sperrhölzern vernagelte und mit Neonleuchten erleuchtete nüchterne Realität entpuppt.
Zu Beginn sitzen die Darsteller um ein Strategiespiel namens „Friedrich“ an einem Tisch. Nur Tellheim scheint als eine Gestalt dem Brettspiel schon entsprungen zu sein. Verzweifelt will er sich den finalen Schuss geben und seinem unrühmlichen Leben ein Ende setzen. Verärgert über diese Störung, springen die Spieler auf und streifen ihre Kostüme über. Der nächste Bühnenvorhang geht auf und sie steigen in die übrigen Rollen des Brettspieles ein.
Doch Henkel spielt auch mit den Erwartungen der Zuschauer. Henkel zückt in ihrer Inszenierung immer neue Karten. Ihr Spiel ist voller Überraschungen und Brechungen. So fordert der Wirt (Marco Albrecht) der Absteige, die sinnigerweise „Krieg und Frieden“ heißt, immer wenn die Dramatik des Geschehens einen rührigen Höhepunkt erreicht hat, die Bardame (Angelika Richter) mit ihrem Pianisten (Philipp Hagen) auf ein romantisches Leid zu trällern. Wie durch eine Werbeunterbrechung wird das Theater als Spiel entlarvt. Zum Schluss, als Tellheim die freudige Botschaft erfährt, dass er rehabilitiert ist, wagt der Zuschauer zu hoffen, dass das glückliche Ende in Sicht sei. Doch bei Henkel weit gefehlt: Minna hat das Spiel der Täuschungen mit Tellheim überstrapaziert - er erschießt sich.
Das ist das erste Mal, an dem Minna das Spiel wieder zurück dreht und mit dem Blut überströmten Tellheim von neuem beginnt. Doch wieder wendet sich Minnas Spiel nicht zu ihren Gunsten. Die Gleichheit der Geschicke, die Tellheim zuvor für hoch und heilig erklärte, als er sich noch zu den Unglücklichen zählte, interessiert ihn jetzt nicht mehr. Minna darf gerne unvermögend und abhängig bleiben. Sie reizt diese Spielkarte so aus, dass Tellheim sich genötigt sieht, ihr seine Mannesstärke auf endgültige Art zu beweisen und sie umbringt.
Erneut dreht die Spielerin alles auf Anfang. Dank der Mitwirkung der entnervten Mitspieler (Tim Grobe, Julia Nachtmann, Torsten Ranft) , die genug haben von dem Spiel, das seinen Spaßcharakter völlig eingebüßt hat, gibt es zum Schluss ein Brautpaar - doch ein so trauriges wie dieses hat man selten zu sehen bekommen. Sie kriechen humpelnd, stolpernd, schwer verletzt auf die letzte Bühnenebene. Als sie sie erreicht haben, löst sie sich und entschwebt in den Bühnenhintergrund.
Henkel wagt in ihrer Inszenierung viel. Sie macht es Zuschauern und Darstellern nicht leicht. Mit weniger guten Schauspielern wäre dieses Konzept kaum umzusetzen gewesen. Doch sie hatte ein tolles Ensemble zur Verfügung. Jede Rolle war exzellent besetzt. So honorierte das Premierenpublikum den anregenden Theaterabend mit vielen Bravos und einigen Buhs.

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