Endspiel
Endspiel
Die Unendlichkeit der Leere
Ende, es ist zu Ende, sagt Clov und geht weg. Jetzt bin ich dran, triumphiert Hamm. Doch schnell ändert er seine Meinung und ruft seinen Diener wieder herbei. Denn er ist angewiesen auf Clov, seinen Diener; er ist blind und kann sich nicht laufen. Ihre Welt ist eine schräg gestellte leere Plattform, deren Ränder abrupt im Nichts enden. Angestrahlt wird diese Leere von einem hellen Licht. Dieses bringt den glitzernden Paillettenanzug des Herrn Hamm zum Leuchten. Bei Clov kommt ein kleiner Abglanz zum Vorschein, als er seinen schlichten Schürzenkittel lüftet: Seine Unterhose ist mit denselben Pailletten geschmückt.
Meist steht Clov in angemessener Entfernung kurz hinter seinem Gebieter. Auf seinen Pfiff eilt er herbei und steht ihm zu Diensten. Zur Einteilung seiner Pillen, zum Anziehen, zum Hinlegen, zum Aufstehen, zum Dialogisieren, zum Bemitleiden, zum Zuhören und zum Vertreiben der Einsamkeit. Sie scheinen die beiden einzigen Lebewesen auf der weiten Einöde zu sein, die noch übrig geblieben sind vom großen Spiel der kleinen Menschen. In ihrer gegenseitigen Abhängigkeit verbringen sie die Zeit mit der Vertreibung der Langeweile. Sie spielen Herr und Diener. Clov springt wie ein dienstbarer Kobold für seinen fragilen Chef herum. Immer wieder kündigt Clov seinen Abschied an. „Ich gehe weg.“ Doch draußen wartet die andere Hölle, die unbekannte. So schleicht er meist auf seinen alten Latschen, die Hände in seiner orangenen Kittelschürze vergraben wieder zum Stuhl von Hamms zurück. Auch Hamm bleibt gefangen: „Ich könnte vielleicht lieben, laufen und sehen“, träumt Hamm. Doch er bleibt sitzen.
Regisseur Jan Bosse hatte in seiner Inszenierung des Beckettschen Endspiels für das Deutsche Theater viel gestrichen: Es gab weder Hamms Eltern, noch ihre Mülleimer, in denen sie bis zu den Schultern feststeckten, noch ein Fenster, das mit dem Blick nach draußen weiten könnte. Bei Bosse bleibt selbst Clovs Blick durchs gespielte Fernrohr imaginär. Übrig bleiben zwei Spieler, dargestellt durch zwei hervorragende Schauspieler: Wolfram Koch und Ulrich Matthes. Die leere Bühne (Stephane Laime) füllten sie mit ihrer Präsenz. Bei Beckett dreht sich das „Endspiel“ in einer Endlosschlaufe, doch Bosse setzt einen möglichen Schlusspunkt: Der letzte Pfiff bleibt ohne Reaktion: Clov ist einfach von der Plattform, die bis in die ersten Publikumsreihen ragte, ins Nichts abgesprungen. Hamm bleibt alleine zurück und wiederholt seine ersten Worte: Jetzt bin ich dran!
Das letzte Gastspiel des diesjährigen Theaterfestivals in Hamburg wurde im St. Pauli-Theater mit lang anhaltendem Jubel gefeiert.
Birgit Schmalmack vom 2.11.10
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