Clavigo
Clavigo
Happy End?
Ein hölzerner Sekretär mit einer Schreibmaschine steht im ansonsten kahlen Bühnenkasten im Thalia in der Gaußstraße, der von drei raumhohen, schwarzen Tafelseiten umgeben ist. Clavigo (Hans Löw) nimmt Platz, hebt den Zeigefinger, zielt auf die Tasten, doch nur um dann ermattet auf die Maschine zu sinken. Da hilft auch nicht die musikalische Hilfestellung seines Freundes Carlos (Felix Knopp): „I’ll take you to a ride with my best friend“. Seit er seine Verlobte Marie verlassen hat, fällt dem Dichter Clavigo nichts mehr ein. Dabei hatte er die schöne Marie (Maren Eggert) doch gerade für seine aufsteigende Karriere aufgeben. Denn die Verbindung mit einem bürgerlichen Mädchen erschien für einen Aufstieg am Hofe plötzlich nicht mehr standesgemäß.
David Bösch zeigt in seiner klarsichtigen, spannenden Inszenierung von Goethes bekanntem Text den Künstler Clavigo, den zwei Seelen in seiner Brust hin- und herreißen. Einerseits braucht er die Auslebung seiner Gefühle, um Stoff und Empfindungen für seine Dichtkunst zu haben. Und andererseits darf er sich in dieser Leidenschaft nicht verlieren, um seine Karriere nicht aus dem Blick zu verlieren. Marie ist dagegen eine Frau, der jede Strategie fremd ist. Sie gibt sich tränenverschmiert ihrem Gefühl ganz hin.
Bösch benutzt eindrucksvolle Bilder. In der Liebesszene der Beiden nach ihrer zwischenzeitlichen Versöhnung zeigt er einen Clavigo, der das Notizbuch stets zur Hand hat, um das gerade Erlebte für seine Kunst ausnutzen zu können. Und eine Marie, die sich schnell in diese Rolle der Muse fügt, weil sie das neu gewonnene Glück voll auskosten will . Sie glaubt schon an ein Happy End, das sie auf der letzten Seite von Clavigos Notizbuches zu lesen meint.
Auch am Ende des 75-minütigen Clavigo-Konzentrats erscheinen die weißen Kalkbuchstaben des Wortes „Happy End“ auf der schwarzen Tafel-Rückwand. Doch die Argumente des karrierebewussten Freundes Carlos waren stärker. Der Erfolg lockte den wankelmütigen Clavigo zu sehr. Regenwasser strömt wie Tränen über die Rückwand und das glückliche Ende verwischt bis zur Unkenntlichkeit.
David Bösch hat sich wieder einmal als echtes Regietalent bewiesen. Er befragt die einzelnen Figuren und entdeckt in jeder von ihnen den Menschen. Selbst der Strippenzieher Carlos bekommt bei ihm ganz freundschaftliche Züge. Das liegt nicht zuletzt auch an den wunderbaren Schauspielern, die den Abend zu einem herausragenden Theatererlebnis werden lassen.
Birgit Schmalmack vom 27.2.07
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