Brand
Brand
Aussterbender Idealismus
„Es geht ein Riss durch diese Gesellschaft. Alles ist nur halb.“ Davon ist Brand (Hans Löw) überzeugt. Mit strähnigen, halblangen Haaren und John Lennon-Brille ruft er sich und seine Zuhörer zum Neuanfang auf. Doch die sind am Rand eines norwegischen Fjords weniger an Revolution als vielmehr an der Bewältigung der kleinen Herausforderungen ihres Alltags interessiert, für die sie sich den Beistand eines Pfarrers in ihrer Kleinstadt wünschen. Dennoch schaffen es die Kleinen Leute – durch die kleinwüchsigen Darsteller Karin Witt und Werner Kwoll vertreten – ihn zum Dableiben zu bewegen. Auch die junge, schöne Frau (Susanne Wolff) bleibt da. Sie verzichtet darauf mit ihrem Bräutigam Einar (Robert Kuchenbuch) in den Süden zu ziehen, sondern entscheidet sich für den Kampf an Brands Seite. Für ihn lebt sie statt im sonnigen Süden auf der Seite des Fjords, den die Sonne nie erwärmt. Die Pflanzen kümmern genauso vor sich hin wie ihr kleiner Sohn. Brand muss sich entscheiden: Will er seinen Sohn retten und in wärmere Gefilde ziehen oder will er weiter an seinen Idealen arbeiten? Brand entscheidet sich gegen das Leben seines Sohnes. Eine große Kirche will er stattdessen bauen. Ein eindrucksvolles Symbol für Gott soll erstehen. Seine Frau zerbricht unter seinem unerbittlichen Kampf, der ihr keinen Raum für ein menschliches Zusammenleben ließ. In einem düsteren Schwarz-Weiß-Film sieht man sie auf der Kirchenrückwand ins Wasser gehen. Erst als die Kirche fertig ist, merkt Brand dass sie nur eines der Mächtigkeitssymbole ist, die er bisher stets bekämpft hatte.
Für seine Inszenierung in der Gaußstraße hat Armin Petras das dramatische Gedicht von Ibsen umgeschrieben und aktualisiert. Der Riss teilt hier die Gesellschaft in Globalisierungsgewinner und –Verlierer, in Börsenspekulanten und Hartz-4-Empfänger. Brand diagnostiziert eine Schizophrenie bei den Menschen, die einerseits Müllsortierer und Wassersparer und andererseits Vielflieger und Dauershopper sind. Seine Schmähreden geißeln die Auswüchse des Kapitalismus und des Materialismus. Sie werden der Gemeinde des Publikums, das in Stuhlreihen inmitten in einer holzverkleideten Kapelle mit von Kerzen beleuchteten Altären sitzt, entgegen geschleudert. „Brand – Mein Gott heißt Sturm“ erlaubt Einblicke in die Gedankenwelt des religiösen Idealismus und zeigt, wie leicht er in Fanatismus umschlagen kann. Interessant in einer Zeit, in der sich die westlichen Gesellschaften vieler ihrer früheren Utopieentwürfe entledigt haben und manche nun das Fehlen von Idealen beklagen.
Birgit Schmalmack vom 10.10.08
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