7 Schwestern
Kritik
Foto: Credit to Krieg
BU: Vereinzelung statt gemeinsamer Kampf
7 Schwestern, Kampnagel
Angst sein Leben zu vergeuden
Von Birgit Schmalmack
Ein Kollektiv untersucht die Funktionsfähigkeit einer Gemeinschaft. Dafür hat sich „She She Pop“ „Die drei Schwestern“ von Tschechow vorgeknöpft. Sie haben sie sich zu den drei Schwestern in das Haus Prosorow gesellt. Zusammen mit der Schwester ehrenhalber, Sebastian Bark, bilden Johanna Freiburg, Lisa Lucassen und Berit Stumpf die „7 Schwestern“. Jeder sitzt allein in seinem Raum. Lisa ist in der Küche, Berit im Salon, Johanna in der Kammer und Sebastian auf der Terrasse. Immer wieder streift sich jemand den Morgenmantel, das Taftkleid oder den Steppmantel über und ist dann Mascha, Irina oder Olga.
Um in eine distanzierte Analyse zu treten, sind die Performer nur in der Projektion vorhanden. Per Cam werden sie auf die Leinwände übertragen. Sie können untereinander ausschließlich über das Gehör kommunizieren. Wenn alle gleichzeitig in ihren Zimmern reden, ringen sie um Aufmerksamkeit, doch keiner hört zu. Die Projektionen bilden ein Mosaik ihrer Wünsche und Vorstellungen. Die Bühne wird zum Durchgangsort. Nur wenn sie ihren Aufenthaltsort ändern, laufen sie mit wehenden Mänteln vor den Zuschauern entlang.
Mascha hat Geburtstag. Sie wird 40. Doch bei den deutschen „7 Schwestern“ zeigen sich keine Gastgeberqualitäten wie beim russischen Original: Ihr Salon bleibt leer. 40 Jahre, das wäre eine gute Gelegenheit für einen Neuanfang und für einen Rückblick. Die Vierzigjährigen, eine Generation, für die Emanzipation selbstverständlich ist. Alles ist schon vor ihnen erkämpft worden, sie brauchen sich nur noch an den Früchten zu erfreuen. Selbstverwirklichung und Individualität, immer noch ein lohnende Ziele? Oder vielleicht doch lieber die Mutterrolle und ein Zimmer voller Kinder?
Johanna, die sich für die letzte Variante entschieden hat, gerät immer wieder in die Rechtfertigungsrolle. Sie kämpft um Anerkennung. Ihr steht der Identifikationsfaktor der Arbeit nicht zur Verfügung, denn ihre wird nicht anerkannt. Dagegen können sich die anderen über ihre Arbeit definieren.
„Wir leben in verschiedenen Welten“, versucht dagegen Lisa den drei Kleinen zu erklären, die nach Bedarf per Fernbedienung auf der fünften Leinwand ein- und ausgeknipst werden können. „Ich rauche und ihr nicht, wir können also nicht in einem Zimmer leben. Ihr wollt jeden Tag das Gleiche tun und essen, ihr seid mir einfach zu konservativ.“
Ein Treffen wird im Salon einberufen. Die Vereinzelung soll ein Ende haben. Das Projekt der „Solidarität in der Schwesternschaft“ soll umgesetzt werden. Der Sessel wird zum Thesenort erklärt, das Sofa zur Diskussionsstelle und der Platz vor der Grünpflanze zum Ort für das Private. Lisa will für die Solidarität klare Zeitfenster organisieren. Sebastian sieht dagegen in einer schwulen Partnerschaft die Möglichkeit den „Mutter-Kind-Mythos“ durch eine kompliziertere Beziehungsstruktur aufzubrechen. Gleich anschließend entledigt er sich der Kinder: Er schickt sie fort zu einer Expedition in eine neue unbekannte Welt, nicht ohne sie vorher in dicke Mäntel eingemummelt zu haben.
Die vielen Fragen, die das Programmheft stellt, beantwortet die aktuelle Performance von „She She Pop“ nicht. Passend zu ihrem Bühnenbild liefern sie nur einzelne Mosaikteile einer möglichen Annäherung an die Lebensperspektiven heutiger „Schwestern“. So erreichen sie nicht ganz die Authentizität ihrer King-Lear-Adaption „Testament“, was auch daran liegen mag, dass ihr Kollektiv erwiesener maßen wesentlich erfolgreicher ist als das der „Drei Schwestern“.
hamburgtheater - Kritiken für Hamburg seit 2000