Maß für Maß



Schwein gehabt!

Am Krohnleuchter im golden gefliesten Palast baumelt eine Schweinehälfte. Angelo (Lars Eidinger) wollte als Statthalter des verreisten Herzogs Vincentio (Gert Voss) in Wien aufräumen, dessen Sitten unter dessen Regentschaft verkommen waren. Er ging mit der Wasserpistole gegen allen Unrat vor. Stattdessen besudelt nun das tropfende Blut des Schweins den goldenen Boden. Und wenig später hängt Angelo selbst an Stelle des Schweins am Krohnleuchter.

Wozu die Macht den Menschen verführt, wollte der Herzog mit seinem Weggang herausfinden. Er überlässt dem überaus korrekten Angelo seinen Platz. Unerkannt als Mönch verfolgt er dessen Handlungen. Als erstes verurteilt dieser Claudio wegen unehelichen Sexes zum Tode. Claudios Schwester (Jenny König) bittet um Gnade für ihren Bruder. Diese wortgewandte, kluge und zugleich züchtige Frau, die zum Beweis ihrer Unschuld Nonne werden will, lässt Angelo erstmals seine Lust auf das weibliche Geschlecht entdecken und schwach werden. Er macht ihr das unmoralische Angebot durch Sex mit ihm ihren Bruder freizukaufen.
Aus dem Hintergrund überführt derweil der Herzog mit List und Tücke den selbstgerechten Herrscher seiner Fehler. Zum Glück befindet sich in der Plastiktüte, die Angelo mit sich führt, nicht der Kopf des verurteilen Claudio sondern der des Schweins. Tod für Tod, Sünde für Sünde, Maß für Maß wollte der gerechte Fürst abwägen und findet so doch einen Weg zur Gnade, die der Selbsterkenntnis nicht im Wege steht. „Schwein gehabt!“ ruft der Herzog zum Schluss dem geläuterten Angelo zu.

Regisseur Thomas Ostermeier wagt einen großen Wurf mit seiner Inszenierung. Und er gelingt. Dazu trägt auch die zeitgemäße Übertragung des Shakespeareschen Textes durch Marius von Mayenburg bei. Ostermeier hat mit Gert Voss die Idealbesetzung für den Fürsten gefunden. Sympathisch und humorvoll gestaltet er den menschenfreundlichen Patriarchen. Lars Eidinger nimmt man sowohl den überkorrekten Moralapostel wie den in Begierden entbrannten als auch den selbstzweifelnden Mann ab. Jenny König überzeugt als standfeste Heilige.
Im goldenen Schlachthaus werden die menschlichen Gelüste und Triebe Stück für Stück seziert. Für hehre Selbstgerechtigkeit ist am Ende kein Platz mehr. Das Ensemble stimmt unterstützt von drei Musikern immer wieder französische Madrigale an. Auch zu solcher Schönheit sind Menschen in der Lage, freut sich dann der dirigierende Herzog.
Birgit Schmalmack vom 16.10.11



Zur Kritik von

nachtkritik 
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BZ 



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