Flucht ins romantische Meta-Universum

Stay romantic, Kampnagel © G2 Baraniak


In dieser Galerie sind die Verhältnisse umgekehrt: Hier hat die junge Generation das Sagen. Eine kindliche Kuratorin führt das erwachsene Publikum durch die Kunstausstellung (Bühne: Hanna Lenz). In ihr ist die Zukunft in Installationen zu betrachten. Die Welt ist eine andere geworden. Die immer noch kaum vorstellbare Katastrophe ist Wirklichkeit geworden und die Relikte der früheren (also unser heutigen Welt) sind zu Ausstellungsstücken geworden. Ausgetrocknete Seen, mumifizierte Tiere, gesammelte Artefakte, verwesende Pflanzenteile und toxisch veränderte Natur sind auf dem Rundgang zu sehen.
Die sich daran anschließende künstlerische Videoarbeit lässt in die zurückliegenden (oder noch bevorstehenden) Katastrophen eintauchen. Da brennen Büsche, da explodieren Bomben, da dröhnen Flugzeuge, da verdüstern Rauschwolken die Landschaften, da wird der Zuschauer hineingeworfen in eine Welt der kompletten Zerstörung. Doch deuten kleine Gimmicks an, dass alles nur virtuell zu verstehen sei. Mit dem nächsten Wisch ist alles wieder weg. Keine Veränderung nötig. Einmal kurz dem aufkeimenden Erschrecken und Aufbegehren hingeben und dann wieder auf zur nächsten Zerstreuung, die ebenfalls nur einen Klick entfernt ist.
Danach bevölkern Fantasiegestalten aus dem www die dystopische Landschaftskunst auf der Bühne. Nervöse Zuckungen lassen sie nie zur Ruhe kommen.(Choreographie: Barbara Schmidt-Rohr und Yolanda Moralez). Selbst wenn sie auf dem Boden liegen, zucken ihre Körper in einem Fort. Bewegen sie sich vorwärts, schüttelt es ihre Gliedmaße ständig. In einem nervösen Dauererregungszustand sind sie gefangen, der sie nie ankommen lässt. Dennoch bewegen sie sich nur langsam vorwärts. Sie stehen zwar dauernd unter Strom, kommen aber nicht vorwärts. Ständig hält sie eine neue Nachricht, eine neue Katastrophe auf Trab und hindert sie doch an der Weiterentwicklung. Und an wahrhafter Kommunikation und Begegnung. Alles bleibt in der Möglichkeitsform, die so schnell, wie sie entstanden ist, sich auch wieder verflüchtigt hat.
Die emotional vielschichtig arrangierte Musik wird dazu analog von den zwei Musiker:innen Catharina Boutari und Tom Gatza hinter dem transparenten Gemäldevorhang live gespielt. Sie changiert zwischen düster, antreibend, futuristisch, esoterisch, und dystopisch.
Die Regisseurin Barbara Schmidt-Rohr hat hier mit einem Künstler:innen-Team eine aus vielen einzelnen Schichten bestehende Performance arrangiert, die unsere heutige Zeit durch die Folie der Epoche der Romantik betrachtet. Hineingeworfen in eine unübersichtliche, von Krisen geschüttelte Welt, fühlen sie sich angesichts der übergroßen Fragen und Herausforderungen ohnmächtig und flüchten sich ein eine romantisch idealisierte Vorstellung von natürlichen Leben. Ständig die eigene Vergänglichkeit und die der Natur vor Augen suchen sie Zuflucht im endlosen Himmel des Netzes, in dem neue Welten entstehen können. So ist der Abschluss dieses mit Gedanken und Bildern übervollen Abends auch ein zu tiefst romantisierender: Einer der Performer singt den Song „Simulation Swarm“ von Big Thief live auf der Bühne. Wunderschöne Musik zum Ausklang. Ein Angebot aus dem Jahr 2021 um den eigenen Sinn für die Imagination, Innigkeit und Romantik zu bewahren. Glaube nur weiter an das von der Endlichkeit befreiten Meta-Universum eines Internet-Gottes und vielleicht werden die befürchteten Katastrophen nur halb so schlimm.
Birgit Schmalmack vom 30.5.22



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