Posthumane Existenz
Wie gelingt die Transformation in eine Existenz jenseits des Humanen, das sich nachweislich nicht als die Krönung der Schöpfung erwiesen hat? Wie können sich die Lebewesen zu einem Zustand der kosmischen Existenz erweitern? Wieder mit sich selbst, der Natur, dem Gegenüber und dem Kosmos verbinden?
Zuerst heißt es sich aller Hüllen zu entledigen. Als nackte Wesen steigen die sechs durch die Spirale auf der Bühne hindurch. Ganz bedächtig, langsam und sehr bewusst. Erst im freien Raum wagen sie erste Begegnungen, die alle Emotionsphasen durchlaufen müssen, bis sie eine höhere Bewusstseinsstufe erlangen und zum Schluss wie eine gut geölte, gemeinsame Maschine die Treppen der Tribüne hinauf höhere Sphären erklimmen können. Immer im Kontakt mit dem Anderen, immer im Bewusstsein für die Umgebung. Damit von diesem Erkenntnisprozess keiner ausgeschlossen wird, hat die Choreographin Ursina Tossi die Methode der "auditiven Deskription" erfunden, um die sie ihre Tanzstücke bereichert. So sitzt eine Sprecherin mit auf der Bühne und berichtet in poetischen Umschreibungen, was gerade auf der Bühne passiert. Muss man sich sonst als Zuschauer:in bei Tanzstücken das Bewegungsgeschehen selbst entschlüsseln, so übernehmen dies in diesem Fall Tossi und ihr Team. Während Tossi in früheren Arbeiten "witches" und "blue moon" Hexen und Wölfe in den Mittelpunkt ihrer tänzerischen feministischen Erforschungen stellte, damit ihrer Vorliebe für Horrorelemente Ausdruck verlieh und die Zuschauer:innen mit den Gruselelementen sehr direkt konfrontierte, durfte man sich hier also entspannt zurücklehnen, zum Teil auch einfach die Augen zumachen und sich hineinziehen lassen in die meditative Stimmung.
Birgit Schmalmack vom 9.5.22