Underground Girls, Thalia
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Underground girls, Lessingtage
Foto: Anton Kuznetcov
In einem fernen Land
Es war einmal, in einem fernen Land, das Ende der Welt für Frauen. In diesem fernen Land zählen die Frauen nichts. Deshalb finden die Erkenntnisse von Dr. B. reisenden Absatz. Denn sie ist eine Söhnemacherin, wie sie stolz verkündet. So kann sie ihre kruden Techniken bei den Frauen, die sich Hilfe suchend an sie wenden, bestens vermarkten. Sie empfiehlt Sexpraktiken, Ernährungsgewohnheiten und Schlafpositionen, damit sich der Embryo zu einem ersehnten Jungen entwickelt. Doch so sehr sich die werdenden Mütter auch hinter ihr in der aufblasbaren Wagenburg bemühen, alles genau nach Vorschrift zu machen, so stirbt doch eine von ihnen und die beiden anderen bringen zwei Mädchen zu Welt. Und die sind jetzt zum Nichtstun verdammt. Sie dürfen nicht spielen, nicht zu Schule, nicht aus dem Haus. So bleibt ihnen nur die Fantasie, um der Enge zu entfliehen. Dazu stülpen sich die beiden Töchter je einen Riesenkopf auf die Schultern und werden zu Jack und Rose aus dem Film Titanic. Von diesem Film zirkulieren in diesem fernen Land zahlreiche Raubkopien. Mit ihnen träumen die Frauen, Mutter wie Töchter, von der romantischen Liebe, die sie nie erleben werden. Denn noch der Pubertät ist es schlagartig vorbei mit der Romantik. Dann gilt es seine eigenen Vorzüge auf dem Heiratsmarkt anzupreisen. Da spazieren die Frauen dann mit Tüllüberwurf über dem hautengen Ganzkörperanzug, der nichts verbirgt, in einer Reihe zur Tür herein und werben für sich. Sie seien so anspruchslos, so sexy, so anpassungsfähig, so dienend, so widerspruchslos....
Die Journalistin Jenny Nordberg hat mit ihrem Buch „Underground Girls of Kabul“ von der Praxis berichtet, bei der Mütter ihre Töchter in der Pubertät als Söhne verkleiden, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Diesen Aspekt deutet Jakub Skrzywanek in seiner Inszenierung am The Ilkhom theatre (Usbekistan, Taschkent) lediglich in der Titanic Szene an. Bei ihm liegt der Fokus auf der allgegenwärtigen totalen Unterdrückung der Frauen. Die Tonspur am Schluss zeugt davon, dass eh jedes Entkommen-Wollen hoffnungslos ist. Im Dunkeln hört man, wie ein Mann seine Frau schlägt, so lange, bis sie endlich keinen Mucks mehr gibt. Schon zuvor waren die erschreckenden Zahlen der Femizide in diesem fernen Land über die Bildschirme gelaufen. Standing Ovations gab es am Schluss für diese Inszenierung. Doch die vermeintliche Beruhigung, dass dies alles in "einem fernen Land" passiere, sollte nicht der letzte Gedanke sein. Mögen die Zahlen in Deutschland auch geringer sein, so spielt Gewalt gegen Frauen auch hier eine immer noch eine viel zu große Rolle. Nur in einer Szene nimmt die Inszenierung auch den Western scharf und selbstkritisch in den Blick. Da begegnen sich zwei Frauen, einer vor dem Grenzzaun und eine dahinter. Die eine bittet um Hilfe und Einlass, doch die andere entgegnet nur: Du bist mir zu fremd.
Birgit Schmalmack vom 28.1.25
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