hamburgtheater

...............Kritiken für Hamburg seit 2000

Rio Bar

Rio Bar
Ein Krieg wie jeder andere
Eine Frau kommt jeden Tag in die Rio Bar. Sie trinkt um zu vergessen. Doch ihre Hochzeitnachtsnacht hat sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Nicht wegen ihres ersten Kusses sondern wegen der Bombenalarms. Seitdem ist ihr Ehemann verschwunden und sie kann nicht wieder zum Alltag zurückkehren.
Der Pappwürfel, aus dem zunächst die Stimmen kommen, die vom Kriegsbeginn berichten, zerfliegt in fünf Einzelteile. Das Haus bricht auseinander und die Personen versuchen sich retten, indem sie sich auf den Teilen wie auf schwimmenden Eisschollen festklammern. Sie versuchen Ordnung zu schaffen in der unübersichtlichen Chaos der möglichen Perspektiven und Fragen.
„Aktion Sturm“, eine gerechtfertigte Offensive des kroatischen Volkes, um ihre von den Serben besetzten Gebiete zurück zu erobern? Oder eine ethnische Säuberung, für die der Präsident sich zu Recht vor dem Den Haager Kriegstribunal verantworten muss? Wie soll man den Ausländern begegnen, die entweder als Ankläger oder Aufkäufer auftreten? Ausländer raus oder Touristen willkommen? Soll man sich selber einreihen in die Flüchtlingsströme aus dem Land hinaus? Nach Italien gehen, Hauptsache weg? Wird man dort vergessen können? Wie kann Versöhnung und nachbarschaftlichen Nebeneinander funktionieren bei dieser Vergangenheit?
Ivana Sajko hat einen Roman über die Kriegsjahre in Kroatien 1991 bis 1995 geschrieben. Ivna Zic hat ihn eindrucksvoll auf die Bühne gebracht. Sie verzichtet auf den roten Faden. Sie stellt Erinnerungs- und Gedankenfetzen nebeneinander, oft in einem Stimmengewirr des Chores, das das Chaos des Krieges bestens symbolisiert. Zwischen den zerborstenen Pappresten des Hauses irren die fünf Schauspieler in ihren pastellfarbenen Sommerkleidern herum. Verwirrt, verzweifelt, um Fassung ringend, immer noch kämpfend für ihren Anspruch auf Glück, auf Anteilnahme hoffend und dennoch grenzenlos einsam in ihrem Unglück. Berührende Arbeit, die den Höhepunkt der diesjährigen Diplominszenierungen der Theaterakademie auf Kampnagel darstellte.
Birgit Schmalmack vom 14.3.11

hamburgtheater - Kritiken für Hamburg seit 2000