Napoleon D
Napoleon D.
Selbstdarstellung um jeden Preis?
Aus welchen Beweggründen stellt man sich der Öffentlichkeit zur Schau? Anerkennung, Bewunderung, Bekanntheit, Ideentransfer, Berühmt werden, Geld? Wer auf You Tube seine Person, Kreativität oder Gedanken präsentiert, hat sicherlich andere Motive als Künstler, die ihre Ideen auf Bühnen zum Besten geben. Den Verbindungslinien zwischen beiden Formen spürt das Projekt des post theaters „Napoleon D.“ nach.
Ein junger Mann hatte unter dem Namen Napoleon das Ergebnis seiner Bemühungen sich das Tanzen nach einem Lehrvideo selbst beizubringen, ins Netz gestellt. Dieses häufig angeklickte Video auf You Tube inspirierte das post theater fünf Berliner Napoleons die Chance zur Selbstdarstellung im Dock 11 zu geben.
Als Conferencier begleitet Alexander Schröder durch die Vorstellung der fünf Kurzchoreographien. Formvollendet begrüßt er die Zuschauer auf Englisch und Deutsch. Um Kosten zu sparen sorgt er zwischen den Ansagen auch für das richtige Funktionieren der Technik. Doch auch die 32 Zuschauer, die an diesem Montag in der Prenzlauer Hinterhof gekommen sind, haben eine wichtige Funktion an diesem Abend. Denn auch an diesem Abend geht es nicht um Ruhm sondern auch um Geld. Sie bilden die Jury, die am Ende entscheidet, welche der fünf Arbeiten ihnen am besten gefallen hat und wer das Eintrittsgeld aus der Abendkasse mit nach Hause nehmen darf.
Höchst unterschiedlich fallen die kleinen Tanzarbeiten aus, die durch die Videoprojektionen der Medienkünstlern Hiroko Tanahaschi und Yoann Trellu in einen interessant verfremdenden Bühnenhintergrund gestellt werden. Die Arbeit von Clint Lutes beschäftigt sich mit den Vorstellungen von Männlichkeit. Tänzer Christian Schwaan kommt ganz in Schwarz mit Strumpfmaske und Stöckelschuhen herein. Seine Entwicklungsstufe lässt zunächst nur ein Kriechen auf dem Boden zu. Langsam wagt er sich in die Senkrechte und erstarkt zum Mann. Er greift zu den Waffen: Degen, Pistole und Faust werden benutzt, bis er zum Schluss in Kampf erliegt. Die projizierten schwarzweißen Muster auf der Bühne sind nun zu einer immer größer werdenden, dunklen Blutlache geworden.
Der zweite geplante Abstimmungsbeitrag musste aufgrund Urlaubsabwesenheit von Florian Bilbao durch einen Beitrag des Helmi-Puppentheaters ersetzt. Ein Vogel aus Schaumstofffetzen geriert sich in der Führung seines Sprechers Emir zum Künstler. Als Emir mit einer Pappmachemaske als feister Baseler Galerist auftritt, beginnt der Machtkampf. Wer ist von wem abhängig? Die Kunst von der Vermarktung oder umgekehrt? Hier siegt die rohe Gewalt des Marktes: Der Kunstvogel wird um einen Kopf kürzer gemacht.
Der Schauspieler Martin Clausen ist für den dritten Beitrag zuständig. Kurz angerissene Alltagsschnipsel verbindet er mit einigen Bewegungssequenzen zu einer absurden Performance, die seinen Hang zum Skurrilen und sein Talent für verschiedenste Dialekte deutlich werden lassen.
Der vierte Beitrag stammt von Nabih Amaraoui und Mathieu Burner. Doch sie sind nicht die Ausführenden. Für ihre Idee, die dem privaten Ausgangsmaterial des ursprünglichen Napoleons am dichtesten auf der Spur bleibt, brauchen sie einen Nichtprofi aus dem Zuschauerraum. Ihre Choreographie ist nur als aufgezeichnete Bewegungsanweisung per Kopfhörer für eine Mutige oder einen Mutigen vorhanden. Die heutige Probantin meistert ihre Aufgabe mit Bravour.
Auch der letzte Napoleon in Gestalt von Nir de Volff glänzt durch Abwesenheit. Doch sein hier gelassenes Video sei ein ausreichender Ersatz, verspricht der Conferencier. Schließlich sei de Volff ohnehin immer nur kurz auf die Bühne erschienen. Und da er noch nie gewonnen hätte, hätte er wohl die Lust verloren aufzutreten, vermutet Schröder. De Volff erzählt in seinem Text- und Tonvideo von seiner Bar-Mizwah, dem einschneidenden Erlebnis im Leben eines jüdischen Jungen. Ein wichtiger Bestandteil sei der Moment, in dem die Frauen in der Synagoge den Jungen, der nun zum Mann werden soll, mit Süßigkeiten bewerfen würden. Wäre der Choreograph anwesend gewesen, hätte diesen Part das Publikum übernehmen dürfen. Dieser Programmpunkt fiel diesen Montag aus den gegebenen Umständen aus.
Der Gewinner war an diesem Montag der erste Beitrag. So durfte sich Schwaan zum Schluss in seelenruhiger Einvernehmlichkeit mit dem Moderator das Eintrittsgeld aus der Abendkasse in die Taschen stecken.
Der Abend bleibt seinem Ausgangsmaterial treu; die Beiträge waren so unvorhersehbar, überraschend, unterschiedlich und wechselhaft im Niveau wie die Videos auf You Tube. Wie im Internetportal waren auch hier in der Live-Version einige spannende Ansätze zu erkennen. Bewusst wurden sie vom post theater nebeneinander stehen gelassen. Der Gunst des Zuschauers bleibt es nun überlassen, wer dieser Napoleons zu größerem Ruhm und zu weiterem Geld kommen wird.
Birgit Schmalmack vom 4.8.08
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