Kuttner Videoschnipselvortrag
Kuttner erklärt die Welt
Videoschnipselvortrag
Pre-aischylosäisches Theater mache er. Da Aischylos als erster Dichter die zweite Person im Drama eingeführt habe, stehe er als Alleinunterhalter auf der Bühne für die Phase vor diesem griechischen Dramatiker. Diese erste Bemerkung Kuttners markiert den Anspruch seines Videoschnipselvortrages: In bestem Berliner Zungenschlag versucht er auf unterhaltsame Art seine Weltsichten zu erklären und spart dabei nicht mit Beweisen für seinen Reichtum an Allgemeinwissen und für seine Geschick bei Stehgreifformulierungen.
Doch er muss an diesem Abend gleich einschränken: Er werde trocken werden und außerdem kaum neue Erkenntnisse bereithalten. Denn er werde nur Sachen verkünden, die sowieso jeder wissen würde. Doch im Gegensatz zu seinen übrigen Zeitgenossen habe Kuttner den Mut, den zahlreichen Zuschauern heute noch einmal die allseitig bekannten Tatbestände in aller angemessener epischen Breite darzulegen.
Denn Zeit und Geduld braucht der Zuschauer an einem Kuttner-Abend. Wie lange er dauert hängt nicht nur von Kuttners Redelust sondern auch von der Reaktion der Zuschauer ab. Wenn er also von Zeit zu Zeit das Publikum beschimpfen würde, täte er das aus rein ästhetischen Gründen. Er kenne schließlich seinen Handke und wisse, was er dem Orte des Geschehens schuldig sei.
„Punk in der Bank“ ist der Titel des 13. Vortrages. Doch die Punkeinlage Beschränkt sich auf die Endlos-Schleife zu Beginn, in der zwei gestylte Mädchen die Köpfe zu Punkmusik schütteln. Danach wird es wirtschaftstheoretisch. Kuttner erklärt heute Abend die Zusammenhänge zwischen Joseph Ackermann, Alfred Herrhausen, Schuppenhaarwaschmittel und einem Pornoproduzenten. Allen läge die suggerierte Grundphilosophie zugrunde: Nur was sauteuer ist, kann auch wirken. Genau diese durch die Werbung eingetrichterte Meinung machten sich überbezahlten Manager wie Ackermann zunutze. Nur weil sie viel Geld verdienten, müssten sie im Umkehrschluss auch ihr Geld wert sein. Der Pornoproduzent findet noch ein weiteres Argument: Für gute deutsche Qualität bezahle der deutsche Konsument eben gern mehr. Kuttner nutzt diesen Videoausschnitt nicht nur für die nationale Karte sondern auch für die geschickte Überleitung zu den liebsten Freizeitentspannungen von Deutsche-Bank-Chef Herrhausen und Konsorten, die Andreas Dietel in seinem Film „Black Box BRD“ ausführlich dokumentierte.
Das Publikum ist an diesem Abend wieder etwas schlauer geworden. Auch wenn nicht wie von Kuttner gewünscht mit BHs geworfen wurde, war der Applaus zum Schluss so stürmisch, dass Kuttner ihn auf seine charmante Art abkürzen musste: „Damit wir hier heute noch mit Anstand rauskommen, klatschen Sie jetzt noch zwanzig Sekunden, ich verbeuge mich noch einmal und dann brechen wir einfach auf dem Höhepunkt ab.“
Birgit Schmalmack vom 5.3.08
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