Götz von Berlichingen
Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand
Marsch durch die Institutionen
In grauem Anzug, blanken schwarzen Schuhen und roter Krawatte – so stellt man sich einen Freiheitskämpfer nicht unbedingt vor. Doch der Ritter Götz von Berlichingen (Markus John) kann auch als ein Politiker der ersten Stunde Deutschlands gesehen werden. Wenig Spielraum hat er vor der nach vorne versetzten Bühnenrückwand aus bis zur Decke hochlaufendem Parkett. Aufgereiht sitzen alle Personen des Stückes auf dem schmalen Bühnenstreifen. Götz früherer Jugendfreund Weislingen (Lukas Holzhausen) hat die Lager gewechselt. Er ist zum Hofe des Erzbischofes von Bamberg (Michael Prelle) übergelaufen. Götz hat ihn in einem Gefecht gefangen genommen. Gefedert steht er nun vor dem Herrn in Anzug. Weislingen beschließt seine Umkehr und Läuterung. Er streift die Federn ab und Jeans, Pullover, Jackett und Turnschuhe über. Der Marsch durch die Institutionen kann beginnen. „Ihr hat mir mich selbst zurückgeben“, bekennt er freudig. Nur einmal will er noch zu seinem früheren Chef zurückkehren und kündigen. Doch am Hofe gibt es eine Frau Adelheid (Ute Hannig), die ihn mit kalter Schönheit und berechnender Strategie zum Bleiben überredet. Unter ihrem Einfluss baut er seine Karriere am Hofe aus und vergisst frühere vermeintliche Ideale.
Regisseur Dušan David Parizek blickt auf Goethes Stück um den Freiheitskämpfer Götz von Berlichingen mit distanzierter Ironie. Bezüge zur deutschen Geschichte und Gegenwart kann sich der tschechische Regisseur erlauben. Seitenhiebe auf die Hamburger Nicht-Kultur-Politik und Vergleiche zu „Wir sind das Volk“- Demonstrationen sind ebenso darunter wie auffällige Ähnlichkeiten von einzelner Kostümierungen. Weislingen kommt mit Joschka-Fischer-Frisur, Turnschuhen und Jeans daher. Sein attraktiver Hippie-Style verführt nicht nur die Frauen sondern verschafft ihn auch zum Aufstieg in die Macht.
Während der Belagerung des Schlosses durch die Regierungstruppen tut sich eine kleine Kammer in der Rückwand auf: Hier steht die Familie Berlichingen (Hedi Kriegeskotte, Julia Nachtmann, Janning Kahnert) und intoniert in Dirndl und mit Bierkrügen in der Hand das Deutschlandlied: „Einigkeit und Recht und Freiheit!“, erschallt es in getragener Choral-Manier. Später fällt die Rückwand mit lautem Knall zu Boden. Das Loch landet passgenau über einem kleinen Pappmacheschloss, in dem der festgesetzte Götz mit seiner Frau zur Untätigkeit verurteilt abwartet. Als er sich durch die Bauernaufstände hinreißen lässt, wieder auf das Schlachtfeld zu gehen, wird er zwischen den Interessen der Gegner zerrieben.
Nationalethos und Freiheitsideale werden von Parizek ebenso ironisiert wie Politikerkarrieren. Das ist ebenso beliebig wie energiereich, kurzweilig und anregend.
Birgit Schmalmack vom 1.12.10
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