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Der Kirschgarten-Kampnagel

Der Kirschgarten
Gefangen in alten Vorstellungen
Feiern bis zum Abwinken
Gefangen in ihren altangestammten Vorstellungen sind die Besitzer des Gutes, zu dem der wunderschöne Kirschgarten gehört. Die Gutsbesitzerin Andreevna (Oana Solomon) hängt ebenso wie ihr Bruder Leonid (Christoph Theußl) und ihre Tocher Anja (Eva Löbau) an der glorifizierten Vergangenheit. Genau so wie zwischen den Schnüren, die den Bühnenraum verspannen und ihren Bewegungsraum einschränken. Die Verstrickungen in alten Traditionen markieren die Jagdtrophäen, die an ihnen aufgehängt sind. Eigenhändig erlegt haben sie sie ebenso wenig wie die Güter selbst erworben. Am Leben erhalten werden sie von anderen: von der Pflegetochter Varja (Kristina Brons), der Bediensteten Firs (Antonia Holfelder) und dem Bauernsohn Ermolaj (Yuri Englert). Alle diese halten die Stellung, wenn die Herrschaften unterwegs sind und das Geld ausgeben, das sie nie erwirtschaften mussten.
Nun ist dieser Geldvorrat aber erschöpft und alle sind zusammen gekommen, um feststellen zu müssen: Das Gut und der Kirschgarten sollen verkauft werden, um den Schuldenberg zu tilgen. Bis zuletzt hoffen sie auf eine Möglichkeit, das Unabwendliche zu verhindern – nicht etwa durch Änderung des bisherigen Lebensstiles sondern durch eine neue Geldquelle, die man anzapfen könnte. Die Fassade der Reichtums soll erhalten aufrecht bleiben. Dafür tun will allerdings keiner etwas dafür. Nur Anja träumt aus dem sicheren Hort ihres gewohnten Luxus von revolutionären Ideen, denen sie mit Petr (Tammo Winkler) nachhängt, den sie auf dem Gut trifft und dem sie an die Uni folgen wird.
Die entthronten Reichen, die ihren Reichtum verloren haben, können nicht aus ihrer Haut: Sie feiern bis zum bitteren Ende. Trinkend, essend, trinkend und singend erwarten sie die Nachricht, dass der Kirschgarten verkauft ist und sie nicht mehr Eigentümer des Hauses sind. Für diese Szene hat Regisseurin Angela Richter einen Rentnerchor engagiert, der in seinen Nachtgewändern die rückwärtsgewandte Stimmung unterstreicht. Passend zu dem Unterwäschelook der ehemaligen Gutsbesitzer. Auch sie haben ihre Fassade verloren und sind nahe davor ihr letztes Hemd hergeben zu müssen.
Ermolaj wird zum Gewinner der Situation: Er ersteigert das Gut seiner ehemaligen Herrschaft. Er ist durch harte Arbeit zu Geld gekommen und hat jetzt den Reichtum, den die anderen nur noch vor sich hertragen. Unbeschwert darüber freuen kann er sich noch nicht: Zu sehr ist auch er noch in den alten Gedankenstrukturen gefangen.
Angela Richter versucht einen Balanceakt zwischen Verortungen des Stückes in der Jetztzeit und Belassen in seiner Zeit, die Tschechow ihm gab. Ihr gelingen klug gezeichnete Einzeldarstellungen der verschiedenen Charaktere. Passend zu den zerfaserten Lebensstrukturen der Personen führt sie sie aber nur in kurzen Phasen zu einem Ensemblespiel zusammen.
Birgit Schmalmack vom 21.12.07





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