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Die Trauer des Dämons, Thalia

Die Trauer des Dämons, Lessingtage

Foto: Dialogue Dance Company

Der Körper im Exil



Etwas zu halten, anderes loszulassen, das ist ein Prozess im Laufe jedes Lebens, aber um wie viel mehr, wenn man gezwungen ist, sein Heimatland zu verlassen. Wie tanzt man diesen Schmerz? Der Choreograf Ivan Estegneev sucht in seiner Solo-Performance nach einem angemessenen Ausdruck für seine zahlreichen Verluste. Den seiner Heimat, den seines Vaters, den seiner Jugend. Auch wenn er sich immer wieder im Gespräch mit seinem imaginären Alter Ego über das Off ein wenig mehr Zeit für die Trauer und für das Weinen ausbittet, so bleiben seine Ausdrucksformen für seinen Schmerz doch weitgehend männlich konnotiert. So liegt eine Ritterrüstung auf dem Boden. So schlägt er sich gleich zu Beginn mit einem Stein immer vor die Brust. So positioniert er sich selbst auf einem Felsstein als Denker. So entblößt er bald seinen Oberkörper mit beeindruckenden Muskelpaketen. Und so endet seine Performance in einem Businessanzug zu Sonnenbrille.

Aber warum auch nicht? Schließlich will er mit seiner Performance einen authentischen Ausdruck für seinen Umgang mit den Verlusten der letzten Jahre finden. Estegneevs Tanz spricht vom der Sehnsucht, von dem Hin- und Hergerissensein, von der Verletzung, vom Niedergedrücktwerden und von dem Wiederaufrichten. Von dem Wunsch nach der Verbindung mit einem Gegenüber, denn als Exilant sei man erst einmal allein, so verrät es seine Stimme aus dem Off. Auch die Zuschauer:innen, die während der Aufführung mit ihm zusammen in diesem Theater verweilen würden, gingen nach etwa einer Stunde wieder hinaus und er bliebe zurück. Er wünscht sich eine Hand, die er halten könne. Er wird sie im Laufe der Performance finden, aber nur in Form einer Schaufensterpuppenhand. Dunkelheit und Licht sind zwei weitere Kontrapunkte in "Trauer des Dämon". Ivan Estegneev spielt damit, indem er die Scheinwerferkegel nur ausschnittweise auf bestimmte Körperteile richten lässt und ansonsten immer wieder in der Finsternis verschwindet. So wie zum Schluss, als er zur Steigerung des Entgleitens auch noch Nebelschwaden hinzunimmt. Er behält die Deutungshoheit über die Bilder, die er erzeugt. So thematisiert Estegneev in seiner Performance zwar seine Verletzlichkeit, doch erzählt in ihrem Verlauf von ihrer Überwindung und strahlt vornehmlich Kraft und Stärke aus.

Birgit Schmalmack vom 28.1.25

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