Oleanna, St. Pauli Theater
Dieses Kammerspiel der wechselseitigen Machtausübung wird in der Inszenierung von Ullrich Waller am St. Pauli Theater zu einem spannenden Wechselspiel der Gefühle. Man ist hin- und hergerissen zwischen den Sichtweisen der beiden Protagonisten. Man versetzt sich ganz in die Rolle des Mannes und gleich danach folgt man ebenso überzeugt der Ansicht der Frau. Die besondere Kunst des klug geschriebenen Stücks von David Mamet besteht darin, dass er es den Zuschauer:innen überlässt, die eigene Position zu finden und Waller folgt ihm darin ganz konsequent.

Der Kreis, Lichthof
Während sich seine letzte Performance "HeimatLost" noch der Fremde und der Heimatlosigkeit widmete, geht es Yigitogullari hier im „Kreis“ um Rituale des Ankommens. Egal, wo man sich gerade befände, gelte es, bei sich selbst heimisch zu werden. Wie bei jeder seiner Arbeiten, spürt man als Zuschauende in jedem Augenblick die Unbedingtheit und die Wahrhaftigkeit seines Tuns auf der Bühne. Dieser Künstler hat keinen doppelten Boden, er schenkt seinem Publikum einen intimen, unverstellten Einblick in seine Gefühle. Denn er verschmilzt auf der Bühne mit dem jeweiligen Inhalt seiner Performance. Genau darin liegt die Intensität seines künstlerischen Akts, bei dem man Zeuge sein darf. (Copyright: Christian Bartsch)

Gletschermumie, Liebe, Kampnagel
Was uns heute an seiner Geschichte interessieren könnte, jenseits der wissenschaftlichen Forschungen seiner körperlichen Überreste, bleibt weiterhin ein Geheimnis, das auch dieser Theaterabend nicht lüften konnte. Stattdessen ist er eine Aufforderung an jede:n einzelne:n aus dem Publikum, die eigene Fantasie in Gang zu setzen, um seine Geschichte neu zu erzählen. Eine Variante haben sie heute gesehen. Sie zeugte von Experimentierlust, Spielfreude, Risikobereitschaft und Mut zur viel Selbstironie. Balzer setzt an jede Stelle der Inszenierung unübersehbare Fragezeichen. Keine ihrer Denk- und Spielanordnungen sind gesetzt, sie sind nur Angebote zum Weiterspinnen und -denken, die sich von überkommenen Regeln freizumachen versuchen. Darin liegt ihr Gewinn, aber auch ihr Risiko zu scheitern, wenn sie sich zu weit von der eigentlichen Grundannahme der Geschichte zu entfernen drohen. Das könnte, je nach Perspektive der Zuschauer:innen bei dieser Arbeit passiert sein.

Oddos See, Ohnsorg
Die Götter hat er einfach mal abgeschafft. Wozu sollte er auch an sie glauben? Sie haben ihn einfach in letzter Zeit zu oft im Stich gelassen. Und seinen Namen hat er kurzerhand zum norddeutschen Oddo (Jannik Nowak) verkürzt. So ist aus dem griechischen Held ein plattdeutsch snackender Mann, der sich gut in nordischen Gefilden und Gebräuchen auskennt, geworden. Auch die griechischen Chöre fand er so altbacken, dass er seine Mannschaft lieber Shantys singen lässt. Auf diese Weise wird im Ohnsorg Theater aus der Odyssee ein plattdeutsches Musical, zu dem Jan Paul Werge die Musik geschrieben hat.

Barrrbie, Thalia
Emre Akal lockt sein Publikum geschickt in seine Interpretation des Nora-Stoffes hinein. Über seinen Einstieg in totaler Comicästhetik knüpft er an den Barbiefilmerfolg von Greta Gartwig an, um anschließend vor dieser Folie einen neuen Blick auf „Nora, ein Puppenheim“ zu werfen. So wird aus der norwegischen Püppchen, das eigentlich nur als Anhängsel ihres Mannes gesehen wird, eine Karrierefrau im Land des Great and Wunderful, die ihren amerikanischen Traum des Reichtums, des Kapitalismus, des Immer-Immer-Mehrs leben wollte und dabei erkennen muss, dass er eigentlich ein Alptraum ist.

Dengbej in the Disco, Lichthof
Noch zu sehen: 7.3., 8.3. und 9.3.25: Dieser Abend hat sehr viele, sehr stille Elemente, die dem Publikum Gelegenheit geben, sich ganz in die kurdischen Lieder einzufühlen. Aber in ihn mischen sich auch laute, mitreißende Szenen, die zu wummernden Beats in andere Gefühlswelten einladen. Sie nehmen das Publikum unabhängig von Sprachgrenzen mit auf die Bühne. Ganz ausdrücklich: Denn zum Schluss werden alle zum Mittanzen auf die Bühne eingeladen. Der Abend geht als Disco zu flackerndem Partylicht zu Ende. So ist es ein vielschichtiger Abend geworden, der geschickt durch viele Erlebnisebenen führt. Zuerst das Erleben von der unverständlichen Schönheit der Musik, das Nichtverstehen, das Beobachten, das Anknüpfen, das Erhalten von ein paar eingestreuten Erklärungen und zum Schluss das Mitmachen Dürfen. So ist hier etwas Geduld für alle gefragt, die kein Kurdisch verstehen, aber es lohnt sich: Am Ende erschließt sich der Inhalt - wenn er auch für jeden im Publikum etwas anders aussehen dürfte. (©Alan Ciwan)

Ubu, Thalia
So wird das scheinbar im privaten Kämmerlein zelebrierte doch noch politisch. Man sollte auf der Hut sein. Das macht Simons auf groteske, drastische Weise klar. Mit Jens Harzer als Mutter Ubu und Marina Galic als ihr Gatte hat er zwei grandiose Schauspieler für diese Kabinettstückchen gefunden, denen man die Fäkalienspiele fast verzeiht, weil ihr Schauspielerhandwerk sie vor dem totalen Abrutschen ins Groteske bewahrt. Dennoch ist das ein Abend, der einiges an inhaltlicher und ästhetischer Flexibilität erfordert. Viele Rätsel werden auch am Ende des Abends ungelöst bleiben. Wer eine Eins-zu-Eins-Übertragung der absurden Wirklichkeit auf die Theaterbühne erwartet hatte, die sich zurzeit allzu leicht angeboten hätte, wird von diesem Abend enttäuscht werden. Einfache Botschaften gibt es nicht. Aber eine eventuell doch: Machen wir es den Machtgierigen nicht zu einfach, indem wir uns einlullen lassen von dem Glauben, dass schon alles nicht so schlimm werden wird. Mit Jarry kann man nur feststellen: Es wird noch viel schlimmer werden. (Foto:Foto: Armin Smailovic)

Die Wahrheiten, Kammerspiele
Lutz Hübner und Sarah Niemetz haben (wieder einmal) ein Well-made-play hingelegt. Sehr gut beobachtet, die Dialoge sehr genau dem Leben abgeschaut. Ebenso geschickt werden die heutigen Diskurse um Missbrauch und Rollenklischees aufgegriffen und ohne vorherige Festlegung an einer tatsächlichen Situation durchkonjugiert. Regisseurin Milena Mönch hat den Text mit ihrem einsatzfreudigen Ensemble mit viel psychologischem Feingespür auf die Bühne gebracht. Man hat mit jeder der Figuren Mitleid und kann Verständnis für ihre Wahrheit entwickeln. Im Publikum gibt es demzufolge den ein oder anderen Wiedererkennungseffekt. Das sorgt für wenige Lacher, für viele Aha-Effekte und für einigen Stoff zum Nachgrübeln.

Lieder für eine bessere Welt, Tonali
Der Musiker, Autor, Schauspieler, Regisseur und Übersetzer Daniel Kahn kennt sich bestens aus im dem Land der Zwischentöne. Das liegt auch daran, dass er als geborener Amerikaner mit jüdischen Wurzeln seit 20 Jahren in Berlin lebt und neben Englisch auch Deutsch und Jiddisch beherrscht. Er schafft es an seinen Instrumenten spielend vermeintliche Grenzen zu überschreiten. Die zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die zwischen Trauer und Humor, die zwischen Ernst und Unterhaltung liegen. Mit seinem Akkordeon, der Mundharmonika, der Gitarre und dem Klavier nimmt er das Publikum mit auf eine Reise, die durch alle Emotionszustände hindurchführt. Ob er nun Lieder von Leonard Cohen ins Jiddische überträgt, in einem Drei-Minuten-Musical durch die jüdische Geschichte springt oder den Georg Kreisler Song „Ich fühl mich nicht zu Hause“ interpretiert.

Venus im Pelz, Theater Das Zimmer
In dem intimen Rahmen des kleinsten Theaters Hamburgs wird daraus ein intensiver Schlagabtausch über Geschlechterrollen. Schäfer brilliert in ihrer vielschichtigen Interpretation der Vanda, die mit minimalen Mitteln jede noch so kleinste Wendung in ihrer Haltung deutlich machen kann. Oliver Törner ist ihr ein würdiger Mitspieler. Zu einem Gegenspieler darf er ihr allerdings nicht werden, dafür sorgt die Regie von Kim Bormann, die hier ihre Interpretation des Stoffes aus dezidiert weiblicher Sicht zeigt. Bormann geht es nicht, wie Roman Polanski in seiner Verfilmung von 2013, um Erotik, sondern um die Rollenzuschreibungen zwischen den Geschlechtern, die sie gezielt hinterfragt. Wie ihr das mit ihrem perfekt gecasteten Schauspielerteam gelingt, ist absolut sehenswert und einen Besuch in Horn wert.