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Lieder für eine bessere Welt, Tonali Der Musiker, Autor, Schauspieler, Regisseur und Übersetzer Daniel Kahn kennt sich bestens aus im dem Land der Zwischentöne. Das liegt auch daran, dass er als geborener Amerikaner mit jüdischen Wurzeln seit 20 Jahren in Berlin lebt und neben Englisch auch Deutsch und Jiddisch beherrscht. Er schafft es an seinen Instrumenten spielend vermeintliche Grenzen zu überschreiten. Die zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die zwischen Trauer und Humor, die zwischen Ernst und Unterhaltung liegen. Mit seinem Akkordeon, der Mundharmonika, der Gitarre und dem Klavier nimmt er das Publikum mit auf eine Reise, die durch alle Emotionszustände hindurchführt. Ob er nun Lieder von Leonard Cohen ins Jiddische überträgt, in einem Drei-Minuten-Musical durch die jüdische Geschichte springt oder den Georg Kreisler Song „Ich fühl mich nicht zu Hause“ interpretiert.

Venus im Pelz, Theater Das Zimmer In dem intimen Rahmen des kleinsten Theaters Hamburgs wird daraus ein intensiver Schlagabtausch über Geschlechterrollen. Schäfer brilliert in ihrer vielschichtigen Interpretation der Vanda, die mit minimalen Mitteln jede noch so kleinste Wendung in ihrer Haltung deutlich machen kann. Oliver Törner ist ihr ein würdiger Mitspieler. Zu einem Gegenspieler darf er ihr allerdings nicht werden, dafür sorgt die Regie von Kim Bormann, die hier ihre Interpretation des Stoffes aus dezidiert weiblicher Sicht zeigt. Bormann geht es nicht, wie Roman Polanski in seiner Verfilmung von 2013, um Erotik, sondern um die Rollenzuschreibungen zwischen den Geschlechtern, die sie gezielt hinterfragt. Wie ihr das mit ihrem perfekt gecasteten Schauspielerteam gelingt, ist absolut sehenswert und einen Besuch in Horn wert.

As you want it, UP, Motte Zum Warmspielen war diese erste Hälfte vor der Pause perfekt geeignet, doch so richtig in Höchstform kamen die UPs erst in der zweiten Hälfte. Denn jetzt wählte das Publikum das Genre Musical, den Ort Flugzeug und der Titel „Love is in the airplane“. Das Ensemble erwies sich nicht nur wieder einmal als kreativ, schlagfertig und einfallsreich sondern auch höchst musikalisch. Hier wurden auf der Bühne spontan der ein oder andere kommende Musicalhit kreiert. Ob nun zum Zuklappen der Overheadcompartments, zur Liebe zum Fliegen oder zum Bezwingen des Thunderstorms, in den das Flugzeug geriet. Das Publikum sang die Refrains mit und amüsierte sich köstlich über all die kuriosen Einfälle zum Thema Liebe über den Wolken. Zum Schluss waren alle heil gelandet und eineinhalb Liebespaare hatten sich gefunden. Beschwingt und beglückt wurden die Zuschauer:innen entlassen. Die UPs hatten ihnen einen vergnüglichen Theaterabend verschafft.

Die Wanze, Thalia So nutzt Meng Jinghui den Text von Majakowski von 1927 geschickt als Folie für alles, was man durch ihn betrachten möchte. Die einen können in ihm eine Kritik an der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft, an der Bürokratie, die anderen an der Technikverliebheit und an der Manipulierbarkeit der heutigen Welt sehen, ganz entsprechend der eigenen Haltungen. So enttäuschte das Gastspiel des chinesischen Theaters bei den Lessingtagen zwar nicht aufgrund mangelnder möglicher politischer Aussagen, aber dieses Feuerwerk an Effekten und Energieüberschuss forderte über die pausenlose Dauer von fast zweieinhalb Stunden volle Aufmerksamkeit, Flexibilität und Anstrengungsbereitschaft. Man bekam in jeder Hinsicht eher zuviel als zuwenig geboten.

Arme Arme Reiche Reiche, Lichthof Dieser Abend widmet sich in aller Ausführlichkeit dem Thema Ungleichheit in der Vermögensverteilung und beleuchtet dies aus zwei verschiedenen Perspektiven. Zwei gesellschaftliche Blasen, die kaum Berührungspunkte haben. Die Reichen bewegen sich in ihrem Kosmos, die Armen in ihrer Realität. Die Durchlässigkeit darf bezweifelt werden, wenn die Artikulationsformen so unterschiedlich sind. Auch deswegen dürfte sich das Regieteam für die Inszenierung der beiden Texte so unterschiedlicher Mittel bedient haben. Kasperl-Theater, Muckibude und Hartz-V-TV auf der einen und gesellschaftliches Hofgebaren auf der anderen Seite, da scheint die Verständigung und das Verständnis fast unmöglich. Auch dies ein interessanter Aspekt an diesem Abend, für den Regisseur Henri Hüster und Choreographin Vasna Aguilar innovative Ansätze der Inszenierung gefunden haben. (© Isabel Machado Rios)

How Goes The World, Thalia Die Bühne ein Sammelsurium an Kulissenwänden und Versatzstücken aus dem Möbelfundus. Inklusive zwei Türen, einem alten Telefon auf einem Tisch und einem Klavier am Rande. Vier Menschen kommen nach und nach gelangweilt herein. Doch schon bald werden sie von den Geräuschen auf Trab gehalten. Immer wieder klingelt das Telefon, klopft es an der einen Tür oder bimmelt die andere Türglocke. Nie ist jemand dran oder kommt herein, dennoch lassen sie sich von den Geräuschen durch die Gegend jagen. Zusätzlich will auch noch das Klavier bedient werden, denn beständig tröpfelt die Musik aus den Tasten herein und ruft die Spieler:innen zur Pflicht. Bald mischen sich andere Geräusche darunter. Pistolen werden gezogen und sich gegenseitig damit niedergestreckt. Doch alles nur Schein. Alle stehen schnell wieder auf und das Spiel geht in Endlosschleife von vorne los.

Trifles und American dream, Audimax Die Inszenierung dieses bitterbösen Stück ist unter der Regie von Felix Krebs zu einer überaus gelungenen Satire auf die amerikanische Traumfamilie in einer Leistungsgesellschaft, in der alles bright and wonderful sein soll, gelungen. Das liegt auch an den herausragenden schauspielerischen Leistungen aller Beteiligten. Besonders den Darstellerinnen der Mommy und der Oma gelingen wahre Meisterstücke der punktgenauen Hinterhältigkeit, die unter der schönen Fassade lauert. Insgesamt ein toller Theaterabend, der zwei Schlaglichter auf die doch nicht so heile Familienwelt warf.

Niemandes Schwester, Thalia Das Auftragsstück, das Heinz Bude, Natan Sznaider und Karin Wieland zusammen für die Körberstiftung geschrieben haben, wurde von Joachim Lux für die Lessingtage zu einer szenischen Lesung eingerichtet. Selbst in dieser reduzierten Form wurde die Herausforderung dieser Preisverleihung, die die drei Autor:innen neben den gut recherchierten Fakten um ein paar fiktionale Figuren zugespitzt hatten, und ihr philosophischer Tiefgang deutlich. Im anschließenden Gespräch, das von Lux moderiert und von Kultursenator Carsten Brosda begleitet wurde, komplettierte sich der Eindruck, dass es sich hier um ein spannendes Stück Hamburger Geschichte handelt, das immer noch der näheren Betrachtung wert ist.

Jungle Book, reimagined, Thalia Der Choreograph Akram Khan verwandelt die weltbekannte Geschichte von Rudyard Kipling in ein Comic-Tanzstück. Er versucht mit seinem Ensemble eine Tanzsprache zu finden, die die Bewegungsmuster von Tieren mit denen der Menschen verbindet. Indem die Annäherung von Mowgli mit ihren tierischen Gefährten gelingt, werden ihre Tanzstile auch immer ähnlicher. Zusammen mit dem in jeder Hinsicht ausgefeilten Soundtrack, der die Stimmen der Tiere, die Dialoge mit Mowgli mit den Naturgeräuschen und der Musik verbindet, den Videoprojektionen der Umgebung und den gezeichneten Comicfiguren, die auf zwei transparente Leinwände geworfen werden, ergibt sich ein berührendes, aufwühlendes Gesamtkunstwerk, das das Publikum so beeindruckte, dass es zum Schluss in minutenlangen Standing Ovations applaudierte.

Blind runner, Thalia Der Regisseur dieser vielschichtigen Theaterabends Amir Reza Koohestani verknüpft beziehungsreich viele verschiedene Ebenen. Er verhandelt dabei minimalistisch und dennoch intensiv die Unmöglichkeit eines Paares miteinander wahrhaft zu kommunizieren. Wenn sie an Punkte kommen, an denen Wahrheit gefragt ist, weichen sie aus: ins Schweigen, ins Anklagen, in Vorwürfe, in Beschönigungen. So ist dieses Versteckspiel zwischen Mann und Frau ist sicher auch ein Sinnbild für das Versteckspiel, das im Iran zum Alltag gehört.

Die Trauer des Dämons, Thalia Etwas zu halten, anderes loszulassen, das ist ein Prozess im Laufe jedes Lebens, aber um wie viel mehr, wenn man gezwungen ist, sein Heimatland zu verlassen. Wie tanzt man diesen Schmerz? Der Choreograf Ivan Estegneev sucht in seiner Solo-Performance nach einem angemessenen Ausdruck für seine zahlreichen Verluste. Den seiner Heimat, den seinen Vaters, den seiner Jugend.

Akins Traum, Thalia Stefan Bachmann inszeniert dies alles als traumhaften Bilderbogen, der genau an der Nahtstelle zwischen märchenhafter Übertreibung, traumhafter Fantasie und Aufprall auf die Realität spielt. Dass dieser Balanceakt in dem Gastspiel der Wiener Burg im Rahmen der Lessingtage funktioniert, liegt auch an der grandioser Leistung der wandlungsfähigen Schauspieler:innen, allen voran Atesçi, der mit seiner wohltuenden Selbstironie seinen eigenen Traum immer wieder auf den Boden der Tatsachen in Gelsenkirchen zurückholt.

Underground Girls, Thalia Die Tonspur am Schluss zeugt davon, dass eh jedes Entkommen-Wollen hoffnungslos ist. Im Dunkeln hört man, wie ein Mann seine Frau schlägt, so lange, bis sie endlich keinen Mucks mehr gibt. Schon zuvor waren die erschreckenden Zahlen der Femizide in diesem fernen Land über die Bildschirme gelaufen. Standing Ovations gab es am Schluss für diese Inszenierung. Doch die vermeintliche Beruhigung, dass dies alles in "einem fernen Land" passiere, sollte nicht der letzte Gedanke sein. Mögen die Zahlen in Deutschland auch geringer sein, so spielt Gewalt gegen Frauen auch hier eine immer noch eine viel zu große Rolle.

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