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Mädchen in Uniform
„Ich“ kann doch jeder!
Das Publikum sitzt in Reih und Glied um sich ganz individuell inspirieren zu lassen. So sollte wohl Theater sein, das anregt. Doch Pollesch hält das für gänzlich unzeitgemäß. Es ginge heutzutage eher um die Erfahrung des Kollektivs statt des Individuums. In den Zeiten der Selbstverwirklichjung hätten wir lange genug geschwelgt. Es sei Zeit für die Erfahrung seines Schicksals als menschliches Wesen. Das geschähe zurzeit an den Bildungsfabriken des Landes. In dem Zuge, in dem Unis mehr und mehr zu Orten der Unfreiheit verkommen, keimt der Geist der Rebellion. Denn: „Es gibt keine Freiheit der Repression.“ Bei ihm wird somit ein Frauenbataillon zum Sinnbild einer Protestorganisation. So geschehen in „Mädchen in Uniform“.
Mit dem Film, in dem Romy Schneider die Hauptrolle spielte, hat Polleschs Stück nur wenig zu tun. Zwar tauchen einige Figuren aus Christas Winsloes Vorlage auf. Sophie Rois kann als die junge engagierte Lehrerin gesehen werden. Ihre Schülerin Manuela gibt es allerdings ganz im Sinne der De-Individualisierung gleich als Chor, eben als das Mädchenbataillon. Im Gleichschritt und Gleichton treten sie auf und äußern ihre Meinung ganz im Sinne der von ihnen zitierten Soziologen Diedrichsen und Agamben. Exaltierte Künstlerinnen wollen sie alle in dieser Anstalt jedenfalls auf keine Fall werden, um dann in der Welt da draußen nur die Entsolidarisierung zu erfahren.
Pollesch bleibt sich treu in dieser Uraufführung in Hamburg, zu denen er seine altbewährte Berliner Truppe aus „Ein Chor irrt sich gewaltig“ mitbrachte. Diese Kurzfristlösung war notwendig geworden, nachdem die Ensembleschauspielerinnen Marlen Dieckhoff und Marion Breckwoldt zwei Wochen vor der Premiere ausgestiegen waren. Altbekannte Gedankengänge mixt Pollesch wieder mal geschickt mit ein paar überraschenden Zutaten zu einem neuen Stück. Der Wiedererkennungswert bleibt hoch. Der exakt arbeitende Chor mit seiner sorgsam ausgefeilten Bewegungschoreographie und die wie immer herausragende Sophie Rois machen den kleine Abend dennoch zu einer netten Unterhaltung.
Birgit Schmalmack vom 27.2.10