Death in venice
Suche nach Schönheit
Der Mann im schlichten Anzug ist ein Suchender. Das wird sofort klar, als er die fast leere Bühne betritt. Tastend setzt er einen Fuß vor den anderen. Immer wieder nimmt er seine Brille ab, reibt sich die Augen, blickt umher, geht ein paar Schritte und bleibt wieder stehen. Dass von Aschenbach ein eigentlich hoch geehrter Dichter und Philosoph ist, merkt man ihm nicht an. Eine innere Leere scheint ihn in ein Sinn- und Schaffenskrise gezogen zu haben. Der verführerische gut bebaute Nmon Ford schlägt ihm alsbald eine Reise in den Süden vor: Sie soll ihm neue Anregungen verschaffen.
In der schwülen Hitze von Venedig begegnet er dem schönen Jüngling Tadzio. In ihm sieht er die Verkörperung der Schönheit, der er bisher nur im Geiste näher zu kommen suchte. Könnte es sein, dass er der Erkenntnis, die er mit dem Verstand erreichen wollte, erst durch die Erfahrungen sinnlicher Leidenschaft erlangen kann? Aschenbach ergreift ein Verlangen gepaart mit grenzenloser Unsicherheit, wo seine moralischen Beschränkungen liegen müssten. Der Widerstreit zwischen den Göttern Apoll und Dionysos wird ihm in einem Traum zu einem Sinnbild für die unauflösliche Diskrepanz zwischen Gefühl und Vernunft.
Thomas Mann erörterte den Konflikt, der nicht frei von homoerotischen Aspekten ist, in seiner Novelle „Tod in Venedig“. Der homosexuelle Komponist Benjamin Britten wagte es am Ende seines Lebens den Stoff auf die Opernbühne zu bringen.
Regisseur Ramin Gray stellt alle Szenen, die die Librettistin Myfanwy Piper aus Manns Novelle übernommen hat, nur mit Hilfe von zwei Windmaschinen und einem hoch- und runterfahrbaren Bühnenpodest dar. Zu allen Orten von Aschenbachs Reise muss die karge Bühne werden. Bühnenbildner Jeremy Herbert nutzt den erzeugten Wind für viele schöne Effekte. Mal bauscht eine transparente Stoffbahn wie gleißendes Licht, mal drehen sich die durchsichtig schwarzen Stoffbahnen wie Karussell, mal kreisen die kleinen Drachen lustig durch die Luft, mal steigen die Seifenblasen glitzernd empor. Die durchscheinenden Vorhänge im hinteren Bühnenteil sorgen für zusätzliche Betrachtungsebenen.
Die beiden Hauptdarsteller sind das Zentrum des Abends. John Daszak ist ein sensibel agierender Aschenbach, der mit seinem sanften lyrischen Tenor die Tiefen des Dichters auslotet. Tadzio (Giuseppe Ragona) strahlt genau das richtige Maß an Grazie, Unschuld und Selbstbewusstsein in seinen Bewegungen aus. Der Konflikt zwischen Alter und Jugend, zwischen Geist und Gefühl, zwischen Erkenntnis und Leidenschaft werden von den Beiden in wunderbar schlichten Bildern ausgedrückt. Manche der Verzierungen am Rande wären jedoch verzichtbar gewesen.
Die Energie der Kinder, die Tadzio umschwirren, hat mitunter Mühe die leere Bühne zu füllen. Auch die gleißende Kostümierung des von der Decke herabgelassenen Dionysos könnte man als ein wenig des Guten zuviel ansehen. Dennoch überwiegt in der 2. Hälfte der Eindruck einer mutigen, konzentrierten Regiearbeit, die die philosophisch anspruchsvollen Herausforderungen von Brittens Oper nicht ausweicht.
Birgit Schmalmack vom 8.3.10
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