Dritte Generation
Das Schweigen brechen

Niels Bormann tritt vor die Zuschauer: „Erst einmal Entschuldigung für das Bühnenbild. Die israelische Theaterkultur ist nun mal ein andere, eher afrikanisch geprägt.“ Und er bleibt dabei, sich zu entschuldigen: Erst bei den vereinzelt anwesenden Juden im Publikum, dann bei den abwesenden Sinti und Roma, dann bei den sich nicht meldenden Homosexuellen und schließlich bei den Türken und Ossis. Er sehe es ein, allen gegenüber hätte er als Deutscher eine Schuld abzutragen. Die übrigen Schauspieler wagen immer mal wieder einen verschämten Blick durch die Tür, doch Niels redet weiter. Schließlich sitzen doch alle auf ihren Plastikstühlen im offenen Halbkreis und wollen endlich anfangen. So beginnt Niels die Mitwirkenden bei dem Projekt „Dritte Generation“ vorzustellen. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal wird bei seiner Einführung sein: Vorhaut oder nicht?
Auch für die zweite deutsche Teilnehmerin Judith Strößenreuter sollte dieses Merkmal eine Hilfe bei ihrer Einteilung von Gut und Böse, Opfer und Täter anlässlich ihres Besuchs in Israel sein. Doch so wenig wie dieses wirklich taugte, so werden auch alle weiteren durch ein folgendes „Aber“ schnell außer Kraft gesetzt.
Dass die Regisseurin Yael Ronen alle Probleme „weglachen“ wolle, kreidete ihr Niels Bormann schon zu Beginn an, doch genau diese Herangehensweise machte es möglich auch bittere Wahrheiten und Sichtweisen offen auszusprechen. Und mit denen sparen die deutschen, palästinensischen und israelischen Schauspieler nicht. Political Correctness wird für den heutigen Abend vergessen. Sie hauen sich ihre eigene Betroffenheit gegenseitig um die Ohren und nehmen auch das deutsche Publikum nicht aus. Wenn Niels mit seinem israelischen Freund nach Israel verreisen will und dieser seine Sachen von ihm fachgerecht eingepackt haben möchte, kontert er: „Muss ich denn für alles eine Endlösung haben?“
Als die Stimmung angespannt zu werden droht, beschwichtigt die israelische Schauspielerin Orit Nahmias: „Auch die Deutschen sind menschliche Wesen.“ Doch sie gibt gleich danach zu bedenken, dass die Geschichte der Deutschen nun mal die Identität der Juden sei. Und sie wiederholt immer wieder ihr Credo: Nicht vergleichen! Der Holocaust hätte nichts zu tun mit dem Völkermord in Ruanda und schon gar nichts mit der Unterdrückung der Palästinenser.
Drei Jugendliche berichten von ihrem zweiwöchigen Bildungsaufenthalt in Polen. Sie seien als andere Menschen wieder zurückgekommen. Nun wüssten sie, dass sie alle ihre patriotische Pflicht tun und für ihr Heimatland mit allen Mitteln kämpfen müssen. Ihnen sei klar geworden, dass Juden sich selbst helfen müssten. Dazu eine der Jugendlichen anrührende Aufrüttelsongs im Stile von Joan Baez gedichtet, die sie mit Gitarre und ernster Miene vorträgt.
Dann kommen die palästinensischen Mitglieder der Truppe zu Wort. Erst werden die Todesfälle der eigenen Familie im Gazastreifen während des Krieges geschildert. Dann lässt Yousef Sweid seinen Großvater, den Helden im Widerstand gegen die Besetzung durch die Israelis als Puppe zu Wort kommen. Als Vertreter der ersten Generation trägt er ein T-Shrit mit dem Aufdruck „1G“, während alle anderen eines mit „3G“ tragen.
Ayelet Robinson hat genug. Sie schnappt sich ihre Gitarre und will aus dem Saal stürmen. Sie will die israelische schmutzige Wäsche nicht vor deutschen Ohren waschen. Sie empfindet die allzu offenherzigen Bekenntnisse über heimische Probleme als Verrat.
Die Show endet in einem riesigen Tumult, von dem alle ihre Verletzungen davon tragen, wie das Schlussbild beweist: Alle kommen zum Verbeugen mit Verbänden wieder herein. Eine einfache Botschaft hatte diese alle provozierende Gruppentherapie mit Zuschauern, die zu Beteiligten wurden, nicht, aber sie brach das Schweigen auf.
Birgit Schmalmack vom 6.4.09




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Körber2009
Phase 1