Phase 1: Quadriga
Rettung kommt, wenn wir die Hoffnung aufgeben
Eine Situation, die an Satres Geschlossene Gesellschaft erinnert: Vier Männer auf einem Floß, mitten im Meer, zunächst noch voller doch später ohne Hoffnung auf Rettung. Was ist zu tun? Handyempfang checken, Zuständigkeitsbereiche festlegen, Arbeitsplan aufstellen? Die Männer denken zunächst noch in ihren vom Arbeitsprozess gewohnten Strukturen. Und müssen doch feststellen, dass sie hier in dieser existenziellen Bedrohung kaum eine Relevanz haben. Denn hier begegnen ihnen ganz neue Herausforderungen: Wie fängt man einen Fisch? Wie begegnet man einem Wal? Bis sie zum Schluss jenseits ihrer bisherigen Erfahrungswelt ins Träumen geraten, müssen sie sich noch vielen Fragen stellen.
Vom Meer blenden die Vier immer wieder in andere Situationen, in denen es um Alles oder Nichts, um das Leben oder den Tod geht um. Da steht einer auf dem Hochhausdach und ist kurz davor den letzten Schritt zu tun. Der herbeigerufene Psychologe versucht gleichzeitig per Handy auf dem Dach einen Freund abzuwimmeln, der ihn um Hilfe bittet. Ein anderer erklärt seinem Chef mit sehr offenen Worten seine Kündigung. Auf einmal scheinen die Machtverhältnisse verkehrt: Der Chef bittet ihn händeringend zu bleiben. Ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter sitzt in einer Zelle ein, die ihn völlig von der Außenwelt abschirmt. Es gelingt ihm sich kurz vor seiner Hinrichtung zu befreien und einen seiner Hinrichtungsbeamten an seiner Stelle in die Zelle zu locken.
Wie wirken sich die Machtkonstellationen in lebensentscheidenden Situationen aus? Diese Frage spielen die Vier in Variationen durch. Sie überschreiten dabei immer wieder die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Dieser Hauch Irrationaliät erlaubt ihnen die Gedanken bis jenseits der üblichen Vorstellungswelten schweifen zu lassen. Für diese Ideenexperimente ist die Zusammensetzung ihrer Vierergruppe geradezu ideal, die sich wunderbar in ihren Charakteren ergänzen und anzuregen scheinen. Waldemar ist der russischstämmige, leicht vertrottelte Mann, der nie das Träumen aufgibt und von den anderen leicht übervorteilt werden kann. Massimo ist der Mann mit italienischen Wurzeln, der den wortgewandten, charmanten, netten Typen gibt, der gern den letzten Witz beisteuert. Hans wiederum ist der Deutsche, der gern die Fakten sondiert und stets den von der Vernunft gesteuerten Weg bevorzugt. Orhan ist der schnell und viel redende Türke, der sich viel auf seine Stärke und Gewitztheit einbildet und gern das Gefühl haben möchte der Bestimmer zu sein. Schwächen zugeben können diese Herren nur schwer. Einzig Waldemar bricht kein Zacken aus der Krone, wenn er zugibt, dass er nicht mehr weiter weiß. Gerade dieser Waldemar ist es dann, der den Männern die Sinne für das Nichtgreifbare öffnet. Er lehrt sie das Träumen mit in ihr Weltbild auf zu nehmen. So erkennen sie schließlich: Ihr Floß und sie darauf sind nur eine Traum der Zuschauer, die ihre Handlungen durch ihre Erwartungen steuern.
Massimo ahnt selbstironisch, welche es nach gut zwei Stunden Theater auf der sind: Sie wünschen sich ein schnelles Ende. Sie erfüllen diesen Wunsch prompt, aber auf ihre völlig überraschende Art und Weise.
Die Theater-Quadriga hat einen wunderbar skurrilen, durch Improvisationsarbeit entstandenen Text erschaffen, der an stellenweise Ionesco und Beckett erinnerte. Er war voller pointierter Dialoge, sprühte vor Sprachwitz und nutzte die überspitzten Konstellationen, um die gewohnten Denkmuster gekonnt zu sprengen. Das Premierenpublikum am Donnerstag honorierte die Vielschichtigkeit und Hintergründigkeit des Quadriga-Humors mit begeistertem Applaus. Gespannt auf die Phase 2 verlässt es die idyllisch gelegene Openair-Bühne der Ufa-Fabrik.
Birgit Schmalmack vom 8.8.08




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