Freitag: LANTANA (SPEAKING IN TONGUES)
von Andrew Bovell
in einer Übersetzung von Terence French

Regie: Steffen Jäger
Ein Stimmengewirr empfängt die Zuschauer beim Betreten des Bühnenraums. Undurchdringlich wie die Pflanze „Lantana“ wirkt das Durcheinander der unterschiedlichen Sprachen. Langsam schälen sich aus dem Dunklen die einzelnen Personen und ihre ineinander verwobenen Geschichten. Unter der Regie von Steffen Jäger vom Max Reinhardt Seminar in Wien werden sie zu einer Puzzle-Aufgabe für die Zuschauer. Ineinander geschnitten verschränken sich die Beziehungsverwicklungen der acht Personen zu erst langsam verständlich werdenden Zusammenhängen. Auch mit der Aufmerksamkeitslenkung spielt Jäger geschickt. Alle Schauspieler sind nicht nur ständig gleichzeitig auf der Bühne sondern auch ständig in Aktion. Wenn sie nicht sprechen, arrangieren sie sich zu Körperbildern, die der Befindlichkeit ihrer Figur zusätzlichen Ausdruck verleihen. Eine herausragende, anspruchsvolle, kluge Arbeit von Jäger, für die er an seiner Wiener Hochschule genau die richtige Besetzung gefunden hat.



Unvollkommen
Zürich, Hochschule der Künste: ‚Unvollkommen’ Bewegungstheater nach den Metamorphosen von Ovid Regie Daniel Pfluger
Ein Element benutzte auch die zweite Aufführung an diesem Abend, verzichtete aber dafür völlig auf das andere: Kein Wort fiel in dieser dennoch sehr sprechenden Inszenierung aus Zürich. Die Schauspieler sitzen zunächst in schwarzen Anzügen brav und bieder auf einfachen Klappstühlen. Auf einen Ton des Keyborders setzen sie sich in Bewegung und beginnen Beziehung zu einem Gegenüber zu knüpfen. Hat die Kontaktaufnahme geklappt geraten sie in ihrem Tanzbewegungen in Gleichklang, der jedoch nie von langer Dauer ist. Meist wird aus den Gemeinsamkeiten schnell eine Manipulation, die in Unterdrückung des Einen mündet. Manchmal stört ein Dritter die Harmonie, manchmal befreit sich einer der Partner aus eigenem Antrieb. Der Verlassene bleibt geknickt zurück.
Regisseur hat es hervorragend verstanden die Entwicklungen von zwischenmenschlichen Beziehungen in Bewegungsbilder zu übersetzen. Jubelnder Applaus war ihm und seiner Truppe aus Wien sicher.







Samstag:
Essen, nach Euripides
Der Alt-Philologe und Regisseur Achim Lenz von der Folkwang Hochschule hat den Euripides ‚Alkestis’ Text neu übersetzt. Doch nicht nur die Sprache klang häufig überraschend frech sondern auch das Setting der Tragödie überraschte: Er hat die Geschichte um die Opferbereitschaft einer Frau für ihren Mann in ein Büro der Jetztzeit verlegt. Mit Kopierer, Handys und Laptops verbreitet sich eine Arbeits-Hektik, die immer wieder von plötzlichen Einbrüchen der Stille unterbrochen wird. In diese systemkonforme und an Leistung orientierte Atmosphäre bricht der Tod ein: Er lässt alle Aktivitäten kurzfristig unwichtig erscheinen, um danach umso intensiver zur Ablenkung und Verdrängung benötigt zu werden. Herausragend war die schauspielerische Leistung von Sarah Franke, die die dem Tode geweihte Alkestis als starke und dennoch sehnsuchtsvolle Frau spielte. Die Inszenierung von Lenz lieferte interessante Aspekt zum Thema der heutigen Verdrängung des Todes aus unserem an Jugendlichkeit orientierten Leben, zeigte aber auch Schwierigkeiten, den gefundenen Ansatz auf den Stoff durchgängig anzuwenden und rettete sich dann in amüsante, überspitzte Aufspießung unserer heutigen Alltagskultur.



. Eine zu Shakespeares ‚Der Sturm’ Die Thesen von Professor Theweleit bilden den Ausgangspunkt für die Vorlesung in der Aula des Kompetenzzentrums, die als Lecture-Performance von der Universität Hildesheim unter dem Titel , pornstorm’ dargeboten wurde. Drei Assistentinnen bereiten den Platz vor für die eigentliche Referentin, die aber aufgrund eines Sturmes nicht erscheint. Sie füllen auf je eigene Art und Weise den frei gewordenen Raum zur Selbstdarstellung und Darlegung ihrer eigenen Thesen. So wird eine krude Parallelität zwischen der Beziehung von Miranda und Caliban aus Shakespeares Sturm, von Pochontas und Captain Smith und dem Eigenen und dem Fremden hergestellt. Letzteres wird dann in einem sinnlichen Tänzchen zwischen dem Fellröckchen bestückten Wilden und der dritten Assistenten demonstriert. Eine Performance, die an einigen Stellen die Grenze zwischen Selbstironie und unfreiwilliger Komik überschritt.

Sonntag:
: von Sophokles
Auf kalkweißem Boden haben vier Menschen Aufstellung genommen. Minutenlang stehen im hellen Neonlicht und schauen die Zuschauer an. Kein Laut ist zu hören. Dann beginnen sie stockend das Unglück in ihrer Stadt zu beklagen. Der neue Herrscher Ödipus will herausfinden, welche Opfer zu bringen sind, um seine Schutzbefohlenen von ihren Leiden zu erlösen. Schließlich erfährt er, dass er selbst der Schuldige ist: Unwissend über seine wahren Verwandtschaftsverhältnisse hat er seine Mutter geheiratet und seinen Vater getötet. Doch bis er diese Botschaft des Sehers Theresias akzeptieren kann, vergehen viele zähe quälende Erkenntnisprozesse.
Wie unter Druck kommen die Worte langsam gequetscht aus den Mündern der Schauspieler hervor, begleitet von einem ständigen Stampfen auf den Fußboden. Wie ein Metronom treibt sich Ödipus selbst bei seiner Suche an. Stringent einer logischen Idee folgend, gestaltet Regisseur Felix Rothenhäusler von der Hamburger Theaterakademie seine ‚Ödipus’-Inszenierung. Eindrucksvoll in ihrer Stringenz, Konsequenz und ihrem Mut zur Beschränkung, auch unter Hinnahme des Verzichts auf einen Unterhaltungsaspekt. Diese Inszenierung erfordert in ihrer Verbannung jeder Natürlichkeit von den Zuschauern ähnlich viel Konzentration wie für die Schauspieler.



Montag:
Zufällig werden die Telefonleitungen von einem Mann und einer Frau zusammengeschaltet. Eine Beziehung entwickelt sich. Eine Beziehung, in deren Verlauf die Beiden sich nie begegnen werden. Regisseurin Julie van den Berghe von der Amsterdam’s Theatre School
lässt ‚F’ nach der Erzählung von Maguerite Duras logischer weise wie ein Hörstück beginnen. Zu den Klängen des Musikers Bastiaan Woltjer lauschen das Publikum den Stimmen des Mannes und der Frau. Auch in Zeiten von Internet, Chatrooms, Telefonchats hat sie sich für die stimmliche Widergabe der Liebesgeschichte entscheiden. Sie setzt Bilder daneben, die nicht zu den Stimmen passen: Ein Schulmädchen geht in Zeitlupe mit zwei über die Bühne. Eine ältere Frau und ein älterer Mann warten vergeblich im Regen an einer Haltestelle auf den Bus. Dann fährt ein einzelner Mann auf einem Hollandrad vorbei und später läuft eine Frau alleine die Straße an der Haltestelle herunter. Klug setzt van den Berghe auf eine Zeit untypische Langsamkeit, die der Entwicklung und der Poesie der zarten zerbrechlichen Liebesgeschichte Rechnung trägt. Leider wurde diese Produktion außer Konkurrenz gezeigt.
Alexander schwingt große Reden. Mehr oder weniger desinteressiert sitzen seine Familie und Freunde um ihn herum und hören. Desillusioniert hat er sich mit seiner Frau und seinem Sohn von seiner Schauspielerkarriere aufs Land zurückgezogen. Seine pessimistische Weltsicht wird im Verlaufe der abendlichen Ereignisse an seinem Geburtstag bestätigt. Beunruhigender dröhnender Lärm zeugt von einer Katastrophe, die wenig später durch Radioansagen bestätigt wird. Unter der Regie von Lea- Marie Hauptvogel von der Bayerischen Theaterakademie August Everding wird ‚Das Opfer’ nach dem Film von Andrej Tarkowskij zu einem Kammerspiel. Monologe werden von kurzen Dialogen abgelöst, während das übrige Bühnenpersonal uninteressiert seinen eigenen Verrichtungen nachgeht. Eine solide Arbeit, die von viel sicherem Handwerk aber wenig Experimentierlust zeugte.

Choderlos de Laclos´ Roman „Gefährliche Liebschaften“ beinhaltet brillante Dialoge, in denen die Selbstverliebheit der Akteure durch ihre um sich selbst kreisenden Formulierungen illustriert wird. Diese Textpassagen, in denen die Marquise de Merteuil und ihr Geliebten Valmont ein Intrigenspiel mit den beiden Frauen Madame de Tourvel und Cecile planen, sind die Kernstücke in Sarah Kortmanns Adaption ‚Liebschaften – ein Brainfuck’ der Hessischen Theaterakademie. Dazu gesellen sich der Mythos um den zerteilten Kugelmenschen, der seine zweite Hälfte sucht, und Teile aus der Balkonszene von Romeo und Julia. Friederike Ott als Tourvel ragte aus dem Ensemble mit variantenreichem und entwicklungsorientiertem Spiel heraus.

Die Performerin Ana Berkenhoff ist das Zentrum (und vielleicht auch der Inhalt) der ‚3 x Müller’-Aufführung der Justus-Liebig-Universität aus Gießen. Unter der Regie von vier Regisseuren (Stefan Behrnedt, Ferdinand Klüsener, Tobias Rosenberger, Cecelie Ullerup Schmidt) trug sie drei Heiner Müller- Texte vor. Zum Teil mit sparsamen Kreis-, Schüttel- oder Seitwärtsbewegungen („In der Strafkolonie“), zum Teil statisch sitzend („Herakles 2 oder die Hydra“). Am stärksten beeindruckte der mittlere Teil, der „Verkommenes Ufer“ in Szene setzte. Hier wiederholt die Darstellerin einzelne Textpassagen immer wieder, während sie dazu ebenfalls ständig wiederkehrende Bewegungsabläufe in leicht verschobener Zeitabfolge abspulen ließ. Diese irritierende Verschränkung von Wort und Bewegung veränderte auf interessante Art die Wahrnehmung.

Frankfurt, Hessische Theaterakademie: Geld.Macht.Geil. oder: ohne Knete keine Käthe. Ein szenischer Liederabend
In dunkelblauer Uniform sitze die vier Frauen und vier Männer gelangweilt auf ihren Stühlen . Die eine verdrückt ihr Butterbrot, der andere überprüft seinen Kartenknipser. Plötzlich tönt es: Money“! Die anderen zucken zusammen, doch stimmen bald in die Hymne auf das Geld ein. Der Rhythmus wird durch Brotdosenverschluss bzw. Knipser unterstützt. Bald hält es die acht Sänger nicht mehr auf ihren Plätzen. In wechselnden Formationen werden Geschichten übers Geld erzählt. Mit vollem Körper- und Stimmeinsatz und viel Humor entledigt man sich immer weiterer Kleidungsstücke, bis in der zweiten Hälfte die Unigformen abgelegt und gegen verschiedenste sommerliche Großstadtoutfits getuascht worden sind. Auch die Stühle sind verschwunden und stattdessen dienen Autositz, Pappkarton oder Bierkiste als Sitzunterlage. Entsprechend hat sich das Liedgut geändert: Von den Moritaten sind wir in der neueren Popkultur angelangt. Die Ersatzaufführung für die entfallene Mittwochsfestivalbeitrag setzte einen äußerst unterhaltsamen Schlusspukt unter ein interessantes Theaterschultreffen. Im Stile Wittenbrings boten die Studenten der Hessischen Theaterakademie beste musikalische Unterhaltung.




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Dritte Generation