Erschreckend aktuell

Endlich einmal hart durchgreifen, endlich alle Ausländer rauswerfen, die hier Verbrechen begehen, die nicht in diese Kultur passen, die sich an den einheimischen Frauen vergreifen, die sich hier ein Anrecht auf Asyl nur erschleichen. Das hat sich der neue Kanzler vorgenommen. Er findet viele Leute die ihm zujubeln. Das klingt verdächtig nach einer Partei, die in den letzten Jahren in Deutschland für Furore sorgte.

Das ist gewollt. Die Neudeutung des Shakespeare Stückes „Mass für Mass“ hat Autor und Dramaturg Stefan Wipplinger für die Inszenierung von Fabian Gerhardt so umgeschrieben, dass sie erschreckend gut in die Jetztzeit passt.

Die Instanzen der Gesellschaft scheinen machtlos, auch als die neue Kanzler seine Kompetenzen überschreitet. Denn er hat ein Opfer gefunden, das perfekt zu seiner Demonstration seines harten Durchgreifens zu passen scheint: Claudio soll ein junges Mädchen vergewaltigt haben. das behauptet jedenfalls der Vater, der ihn angeklagt hat. Ohne jeden Prozess soll Claudio, der als Asylant im Lande ist, abgeschoben werden.

Der Präsident ist machtlos: Schließlich wurde der Kanzler mit der Mehrheit der Bürger gewählt. Das sei eben Demokratie. Doch die Schwester Claudios will nicht so leicht aufgeben. Schließlich ist sie eine starke kämpferische Frau. So geht sie zu Claudio. Allerdings nimmt das Gespräch nicht die von ihr gewünschte Wendung: Er beugt sich nicht ihren Argumenten, will aber ein Date mit ihr. Nur unter dieser Bedingung werde er ihren Bruder noch einmal verschonen. Sie ist empört. Doch lässt sich schließlich mit Unterstützung der Freunde von Claudio auf das Spiel ein, um etwas gegen den Kanzler in der Hand zu haben.

Während bei Shakespeare die Rollenzuschreibungen der Geschlechter noch klar verteilt waren und damit dieses Ränkespiel glaubhaft vorgetäuscht werden konnte, kommt in der Neufassung der Umbruch von kämpferischer Frau zu lasziver Verführerin eher unvermittelt. Damit spiegelt er jedoch auch die Schwierigkeiten der jeweiligen Identitätsfindung schlüssig wieder.

So wurde diese Inszenierung zu einem prallen Theaterabend, in dem die fünf Schauspieler*innen( Irina Sulaver, Fabian Raabe, Owen Read, Armin Wahedi, Jochen Weichenthal) in stetigem Rollenwechsel eine spannende Geschichte erzählten. Gerhardt schafft es in der TD-Eigenproduktion wieder einmal mit versiertem Ensemble und schlichter Bühne, die nur aus einem Podest vor einer Wand aus Scheinwerfern bestand, einen relevanten, interessanten und energiegeladenen Schauspieler*innen-Abend zu machen, der die Gefährlichkeit autoritärer Regierungsstile deutlich vor Augen führte.

Birgit Schmalmack vom 11.10.20