Der Stoff, aus dem die Machtspiele sind


Die Aufführung beginnt mit einem Statement: In zwei Gruppen stellen sich die Darsteller*innen zwischen den Bäumen und Sträuchern der Openairbühne in der Jungfernheide auf und verhandeln mit einem Ausschnitt aus dem Text "In der Einsamkeit der Baumwollfelder" von Bernard-Marie-Koltès die Bedingungen eines Warenaustauschs. Dealer und Kunde treffen sich an einem urbanen Nichtort und vollziehen dort ihren Deal um den Stoff, aus dem normalerweise keine Liebesträume gemacht werden. Denn bei dem weißen Pulver geht es um Macht und Geld. Konsequent verlegt Regisseur Peter Atanassow den sonst eher leichten „Sommernachtstraum“ von Shakespeare in ein Terrain zwischen Mafia, Staatsgeschäften und Vergnügungs- und Liebessüchtigen. Das weiße Pulver wird zu dem Stoff, mit dem der Elfenkönig Oberon (Frank Zimmermann) sogar das Paarungsverhalten nach seinen Wünschen zu lenken gedenkt.
Denn hier ist einiges durcheinander geraten. Nicht nur seine eigene Gemahlin muss auf den rechten Weg geholt werden sondern auch vier Städter*innen auf den rechten Pfad geleitet werden.
Dass der Stoff von Shakespeare hier in eine etwas härtere Gangart versetzt wird, hat auch mit den Mitwirkenden zu tun: Dreiviertel von ihnen haben einen Gefängnishintergrund. Doch der Spaß kommt bei dieser speziellen Fassung des Sommernachtstraums keinesfalls zu kurz. Die Rollen sind perfekt besetzt und das Stück gespickt mit vielen kleinen Einfällen. Beim Auftritt durch die Hecken hat Lysander seine Gitarre dabei und intoniert mit rauer Stimme „Cocaine“ von Eric Clapton. Da Mohamad Koulaghassi zu seinem Unglück im späteren Stück im Stück eine Frauenrolle abkriegen wird, legt deswegen schon mal vorher mehrere kleine Intermezzi als Bauchtänzerin ein. Die Sänfte der Elfenkönigin Titania (Massimiliano Baß) wird mal eben zu einer Schubkarre und so wird ihr königlicher Auftritt, die silbernen Stiefel vorneweg, zu einer sehr bodenständigen Angelegenheit. Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen.
Auch ernstere Andeutungen fehlen nicht: Das Allroundtalent Para Kiala als Oberons Assistent Puck verkörpert den klug agierenden Manipulator so charmant, dass jeder seiner Auftritte zu einer kleinen Show wird. Wenn er dann endlich den richtigen Städter zum Verkuppeln gefunden hat, zieht der schwarze Darsteller den weißen Lysander kurzerhand an einer imaginären Leine wie ein früherer Sklavenhändler hinter sich her. Und der Herrscher Theseus (Patrick Berg) hat sich als zukünftige Gattin (Katharina Försch) gleich eine Frau mit einer ganzen Armee an die Seite geholt, damit seine Drogengeschäfte noch besser laufen werden.
Das zurechtgestutzte Dickdicht der Freiluftbühne bietet mit alle seinen nur vorstichtig zurechtgestutzten Hecken und großen Bäumen einen perfekten Ort für schnelle Auf- und Abgänge. Von den zwei rotleuchtenden Wachttürmen können die Mächtigen dennoch den Erfolg ihrer intriganten Spiele prima überwachen.
Als das Stück mit einem Happy End für alle Paare endet und die die Schnulze kaum noch zu überbieten ist, setzt das Team einfach noch einen obendrauf und die bunt gemischten Menschen auf der Waldbühne stimmen den alten Gassenhauer an: „In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine“!
Genau diese gezielte Selbstironie gibt der Aufführung ihren besonderen Charme. Denn Gefängnistheater "aufBruch" ist beileibe kein betuliches Laientheater mit sozialpädagogischem Unterton sondern Theater mit inhaltlichem und künstlerischem Anspruch. So lohnt sich der Besuch im Heckentheater der Jungfernheide auf jeden Fall. Aber Mückenspray mitbringen!
Birgit Schmalmack vom 27.7.20




Der Sommernachtstraum vom aufBruch Gefängnistheater Fotos: Graziela Diez


Druckbare Version


Das Beruhigungsmittel, Garntheater
Der Sturm, Globe Berlin