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Soldaten
Lächerliche Soldaten
Lenz hat 1776 ein Drama geschrieben, es dann aber mit dem Untertitel als „Komödie“ getarnt. Regisseur Frank Castorf nimmt ihn bei seiner Inszenierung am Rosa-Luxemburg-Platz beim Wort. Er bringt die „Soldaten“ als überdrehte Karikatur einer Boulevardkomödie auf die „Volksbühne“ Das ist nur konsequent: Denn in dem Theatersaal fehlt nach der Entfernung des Gestühls nicht nur die Haltung beim Sitzen, sondern auf der Bühne auch jede moralische Haltung beim einst Deutschland so stolz machenden Regiment. Die Offiziere wissen in ihrer grenzenlosen Langeweile und Leere jedoch ihren Spaß zu verschaffen. Sie treiben makabere Spiele mit Marie, die letale Folgen haben werden. Einer der Offiziere macht der schönen Marie seine Aufwartung. Sie und ihr Vater wittern die Chance zum Aufstieg und Maries Verlobung mit dem braven Schneider Stolzius wird flugs aufgekündigt. Als Maries Ehre verspielt ist, ist auch das Interesse des Offiziers verflogen und Stolzius verschafft seinem Namen Genugtuung.
Das Bühnenbild besteht aus zahllosen Stellwänden, auf die notdürftig Tapetenbahnenreste getackert sind. Es zeigt deutlich: Die Welt ist aus den Fugen geraten. Einzig ihre Fassade wird noch aufrechterhalten. Doch wenn die Tapetentüren allzu wild zugeschlagen werden, droht auch dieser letzte Rest noch umzustürzen. Ebenso schnell dechiffriert ist die vordergründige Kostümierung, die jedem Kostümverleih für Faschingsbälle Ehre machen würde. Wallende Gewänder, riesige Federhüte, eng geschnürte Mieder, klappernde hohe Schuhe machen immer noch Eindruck, wenn auch der Inhalt des Gesagten gegen null tendiert.
So einleuchtend das Konzept der Demontage und Ridikülisierung der Soldatenschaft innerhalb der deutschen Gesellschaft auch sein mag, über volle drei Stunden vermag es nicht zu tragen. Die Tonlage der Personen auf der Bühne bleibt fast ständig auf Anschlag. Auch die Bürgerlichen versuchen ihren Aufmerksamkeitsbonus zu erhalten, indem sie kräftig mit auf die Tube drücken. Das lässt kaum Raum für die leiseren Töne, die die Komödie erst zu einem Drama machten, bei der das Lachen im Halse stecken bliebe. So bleibt die Fallhöhe kaum hoch genug für ein Mitleiden mit Marie und ihrem Stolzius. Dass es auch anders geht, zeigen die Musikeinlagen: Hier schlagen der Pianist Sir Henry und die Sopranistin Ruth Rosenfeld mit einem Mix aus Kurt Weill, Rolling Stones, Liedern der NVA und Passagen aus Bernd Alois Zimmermanns Oper „Soldaten“ differenziertere Töne an. Sie bedienen die schrägen Tonlagen, die nicht nur auf- sondern auch anregen.
Birgit Schmalmack vom 20.4.10