Täter
Ganz normale Menschen
Vier junge Männer tollen vergnügt mit einem Softball herum. Immer wenn sie einer abgeworfen haben, läuft dieser zum Mikro und ruft Sätze wie: „Äpfel sind keine Menschen.“ Oder „Apfelsau!“ Die genannten Äpfel liegen schon auf dem Boden parat. Wenig später werden sie zu einem Haufen Apfelmus getreten, geschlagen, gestampft und zusammen geschoben sein. Der gesamte Betonfußboden ist dann mit dem klebrigen Brei überzogen, auch die Männer tragen Spuren von ihrem Tun. Sie sind vier der fast 500 Polizisten, die 1942 bis 43 als Bataillon 101 aus Hamburg nach Lublin verlegt worden sind, um in Jósefów und Łomazy insgesamt 38000 Juden zu erschießen. Während seines Prozesses nach Kriegsende erklärt einer von ihnen: „Uns wurde anerzogen, Juden nicht als Menschen zu betrachten.“ Und Nichtmenschen darf man ohne Gewissensbisse wie Äpfel zertreten.
Die theatrale Studie „Täter“ ist, wie der Untertitel verrät ein Versuch über die Schuld. Sie beleuchtet penibel die Grade der wachsenden Entmenschlichung. Obwohl die Männer nicht zu ihrem Tun von ihrem Oberst Trapp gezwungen wurden, machten sie mit. Kaum einer von ihnen wagte auzuscheren. Das Gewissen wurde mit Alkohol, derben Scherzen, Spielchen betäubt. Der Gedanke im Krieg zu sein und Deutschland jeden Gefallen schuldig zu sein, wird deutlich, wenn „Deutschland über alles“ ertönt. Der Gleichschritt bestimmte ihr Dasein. Ihre eigenen Frau und Kinder warteten zuhause und wollen versorgt sein. Die jüdischen Frauen und Kinder wurden daher zu Unterwesen erklärt.
Gernot Grünewald hat in der Fleetstreet ein erschütterndes Stück inszeniert. Er spielt geschickt mit den Brüchen in der Darstellung. Die Normalität und Leichtigkeit der jungen, „ganz normalen“ Männer kontrastiert mit der Unmenschlichkeit und Brutalität ihres Tuns. Mal werfen sie sich die Witze wie Bälle zu, mal schlagen sie brutal auf den Boden ein, mal genehmigen sie sich mit Wasser und Zigarette eine kurze Pause, mal exerzieren sie zackig durch den Raum, mal zeigen sie historische Fotos im Publikum, mal demonstrieren sie die richtige Position für den Nackenschuss, der für möglichst wenig Spritzereien von Menschenmaterial sorgt. Zum Schluss sitzen sie zwischen den Zuschauern. Tief beeindruckt verlässt man mit dem Verdacht, dass sie leider wenig von einem selbst unterscheidet, den Theaterraum in der Amiralitätsstraße.
Birgit Schmalmack vom 17.3.10
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