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Testament

http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/2360123_She-She-Pops-pfiffiges-Berliner-Testament-Echter-Schwindel.html

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Die Angst vor dem Ruhestand
Die Fanfare bläst, die Könige schreiten in schweren Stiefeln herein und nehmen auf ihren Ohrensesseln Platz. Die drei Cams vor ihnen verwandeln ihre Gesichter in eine Ahnengalerie über Söhnen und Töchtern.
She She Pop hat dieses Mal ihre eigenen Väter für eine Spurensuche in Sachen Generationenwechsel auf die Bühne geholt. Material zum Streiten über den Tausch von Liebe gegen Geld finden sie dafür in „König Lear“ genug. Auf dieser Grundlage entwickelt der Physiker-Vater eine bezwingende Formel zur Optimierung der Liebe/Kapitalemission. Seine aufgestellte Differenzialgleichung lässt die Kurve nun optimierter fallen. Dennoch wird klar: Jetzt fühlen sich die Kinder an der Reihe Forderungen zu stellen für die Gegenleistung der Liebe und Pflege ihrer Eltern.
Mieke geht noch weiter: Sie stellt sogleich eine Rechnung zur Berechtigung auf ein gesteigertes Erbe gegenüber ihrer Schwester an: Sie müsste die Enkelbetreuungszeit in Euro ausbezahlt bekommen, da sie schließlich kinderlos geblieben sei. Den anderen Kindern geht es mehr um die Klärung, wer den Lichtenstein, die handgeschnitzte Kommode und die Sektgläser bekommen wird.
Eine lange Liste der abzuarbeitenden Punkte wird aufgestellt. Der „goldene Ball“ der versilberten Liebe fliegt ständig zwischen den akademisch gebildeten Vätern und ihren Performer-Kindern hin und her. Da werden sich die Vorwürfe zugeworfen. So wurde in die Ausbildung eines schwulen Sohnes klaglos aber auch effektlos investiert. Die Tochter verweigerte den Eltern einen akademischen Abschluss. Die andere schlug eine glanzvolle Karriere aus und entblößt sich stattdessen zum Fremdschämen auf der Bühne.
Doch kaum ergreifen die Väter zu sehr das Wort, stellen die Kinder die neuen Machtverhältnisse ganz in Sinne Shakespeares klar: Hier haben die Kinder das Sagen. Sie haben ihre Väter auf die Bühne eingeladen, sie sind zu ihrem Arbeitgeber geworden. So wird ihr nahes, kontinuierliches Verschwinden in epischer Breite vor ihren Ohren ausgemalt.
Nach so viel kühlem Schlagabtausch und harter Bilanzierung dürfen die Väter zum Ende noch mal an den Plattenspieler. Jeder legt seine Musik auf: Da trällert Peter Kraus, da schwelgt Harry Balafonte und die Kinder geben sich kurzfristig einem Wohlgefühl mit ihrem Vätern hin. Bis der letzt der drei seine Platte auflegt. Da zucken nur die Wangen, die Blicke treffen sich nie und die Tränen sind nahe.
Birgit Schmalmack vom 8.3.10